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…„die zwei Flitzpiepen vor Ort“, oder: Ist das eine Beleidigung von Polizeibeamten?

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Und hier dann mal wieder eine Entscheidung aus dem bereich “Beleidigung”, und zwar Beleidigung von Polizeibeamten. Der Angeklagte hatte in einer an die Bußgeldbehörde gerichteten E-Mail im Rahmen eines Bußgeldverfahrens – wegen des Vorwurfs der Benutzung eines Mobiltelefons beim Führen eines Fahrzeugs – die beiden den Verstoß aufnehmenden Polizeibeamten als Ist bezeichnet. Deswegen ist er vom AG Wiesloch wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 83 € unter Bewilligung von Ratenzahlung verurteilt worden. Dagegen die Sprungrevision des Angeklagten, die beim OLG Karlsruhe mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v.  22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18 – Erfolg hatte.

“1. Der Tatbestand der Beleidigung verlangt, dass der Täter durch die gewollte Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung einen anderen rechtswidrig in seiner Ehre angreift (BGHSt 1, 288; 36, 145; BayObLGSt 1983, 32; NJW 2005, 1291). Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung bringt eine Äußerung dann zum Ausdruck, wenn nach ihrem objektiven Sinngehalt der betroffenen Person der ethische, personale oder soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt wird (BayObLG a.a.O.; OLG Düsseldorf NJW 1992, 1335; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, StGB, 29. Aufl. § 185 Rn. 2 m.w.N.). Ob eine Kundgabe solchen Inhalts vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BayObLG a.a.O.).

Die Feststellung des Sachverhalts einschließlich des Wortlauts der Äußerung eines Angeklagten ist grundsätzlich allein Sache des Tatrichters. Bei der Auslegung der festgestellten Äußerung ist von deren objektivem Sinngehalt (Erklärungsinhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter versteht (BVerfGE 93, 266; NZV 1994, 486; BGHSt 3, 346; 16, 49; BayObLG NJW 2005, 1291; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 316). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Ist eine Äußerung nicht eindeutig, muss ihr wahrer Erklärungsinhalt aus dem Zusammenhang und ihrem Zweck erforscht werden. Dabei sind alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation zu berücksichtigen. Will sich ein Strafgericht unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung für die zur Bestrafung führende entscheiden, muss es dafür besondere Gründe angeben (BVerfGE 82, 43; 93, 266), d.h. es muss sich mit allen in Frage kommenden, insbesondere den sich aufdrängenden Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen und in rechtsfehlerfreier Weise diejenigen ausscheiden, die nicht zur Bestrafung führen können (BVerfG NZV 1994, 486; BayObLGSt 1994, 121; NJW 2005, 1291).

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

a) Für sein Verständnis, dass der Begriff „Flitzpiepen“ als Synonym für Dummkopf, Trottel oder Depp verwendet werde und deshalb grundsätzlich als abwertende Äußerung zu verstehen sei, stützt sich das Amtsgericht auf zwei Internetseiten, deren sprachwissenschaftlicher Hintergrund unklar bleibt. Vom Angeklagten vorgebrachte „Internetausdrucke, die auch abweichende Wortbedeutungen bzw. Wortverwendungen belegen“ (UA S. 5), finden in den Urteilsgründen zwar Erwähnung, ohne dass aber diese abweichenden Bedeutungsgehalte aufgezeigt werden und der Tatrichter sich mit ihnen auseinandersetzt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war dies auch nicht ohne Weiteres deshalb entbehrlich, weil sich der abwertende Bedeutungsgehalt nach der Bewertung des Amtsgerichts aus dem textlichen Zusammenhang der E-Mail ergab, in deren Rahmen die Äußerung gemacht wurde. Denn auch dabei kann es eine Rolle spielen, ob hinsichtlich eines Begriffs unterschiedliche Deutungsvarianten bestehen.

b) Als durchgreifender Darlegungsmangel erweist sich indes, dass das Amtsgericht sich für seine Deutung des sprachlichen Gehalts des Ausdrucks „Flitzpiepen“ zwar auf den konkreten Kontext der Äußerung beruft, es jedoch versäumt, diesen Kontext in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise durch Wiedergabe des Inhalts der E-Mail des Angeklagten wiederzugeben. Mangels Mitteilung der tatsächlichen Grundlagen kann daher die vom Amtsgericht vorgenommene Bewertung nicht nachvollzogen und rechtlich überprüft werden.”

Und:

“Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass selbst dann, wenn unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungsgehalte (auf der vom Bibliographischen Institut GmbH Dudenverlag erstellten Duden-Homepage wird „Flitzpiepe“ zwar einerseits als Synonym für Dummkopf angeführt, andererseits wird als Bedeutungsübersicht „Person, die man wenig ernst nimmt und über die man sich ärgert“ genannt) die Äußerung im konkreten Zusammenhang als abwertendes personales Urteil auszulegen sein sollte, besonders sorgfältig zu prüfen sein wird, ob die Äußerung gleichwohl von der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt ist und deshalb eine strafrechtliche Verurteilung unter Anwendung von § 193 StGB ausscheidet. Nach der Auslegung von Art. 5 GG, an der sich ungeachtet der hieran geäußerten Kritik (dazu BayObLGSt 1994, 121; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 193 Rn. 25 m.w.N.) auch die Fachgerichte zu orientieren haben, genießen Meinungsäußerungen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfGE 90, 241). Auch die polemische und verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung nicht ohne Weiteres dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfGE 54, 129; Kammerbeschluss vom 28.09.2015 – 1 BvR 3217/14, juris). Dabei gehört das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG NJW 1992, 2815). Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Werturteile im Rahmen von Auseinandersetzungen handelt, die sich auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweise beziehen (OLG Düsseldorf a.a.O., BayObLG NJW 2005, 1291 – Bezeichnung von Polizisten als „Wegelagerer“ im Zusammenhang mit Verkehrskontrollen). Die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit überschreiten hingegen Äußerungen, die sich jenseits sachlicher Kritik in einer persönlichen Schmähung erschöpft. Eine solche nur unter engen Voraussetzungen anzunehmende Schmähkritik liegt aber nicht schon bei überzogener oder selbst ausfälliger Kritik, sondern erst dann vor, wenn das sachliche Anliegen völlig hinter die persönliche Kränkung zurücktritt (BVerfGE 82, 272; Kammerbeschluss vom 28.09.2015 a.a.O.; OLG Düsseldorf NJW 1992, 1335).

Da danach der Ausgang des Verfahrens mindestens offen erscheint und der Angeklagte sich unmittelbar nach der Konfrontation mit dem Beleidigungsvorwurf für seine Äußerung entschuldigt hat, wird nach Auffassung des Senats – auch aus prozessökonomischen Gründen – zu erwägen sein, ob das Verfahren – nach entsprechender Zustimmung der Beteiligten – gemäß § 153 Abs. 2 Satz 1 StPO (mit der Kostenfolge gemäß § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO) einzustellen ist.”


Kopien der digitalisierten Akte, oder: Leider wie gehabt.

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Und als zweites Posting dann eine weitere Entscheidungen, die mit der Erstattung von Kosten der Akteneinsicht pp. zu tun hat.

Im OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.04.2018 -2 Ws 1/18 – geht es mal wieder um die Festsetzung der Vergütung betreffend die Dokumentenpauschale Nr. 7000 Nr. lit a in den Fällen, in denen dem Verteidiger die Verfahrensakte komplett in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt worden ist. Das OLG Frankfurt sagt/meint (mal wieder): In der Regel wird nicht erstattet.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Wird dem Verteidiger die komplette Verfahrensakte in digitalisierter Form zum weiteren Verbleib überlassen, sind Kopierkosten nach Nr. 7000 Nr. 1 lit. a VV RVG vom Grundsatz her keine erforderlichen Auslagen im Sinne von § 46 Abs. 1 RVG.
  2. Dieser Grundsatz kann durch entsprechenden Sachvortrag durchbrochen werden, da derzeit noch keine gesetzliche Verpflichtung eines Rechtsanwalts zur ausschließlichen Verwendung einer elektronischen bzw. digitalisierten Verfahrensakte besteht.
  3. Aus dem Regelausnahmeprinzip folgt (insoweit Fortführung von OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. März 2012, 2 Ws 49/12), dass den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, eine besondere Begründungs- und Darlegungslast trifft, warum dies “zusätzlich” zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er diese zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt.

Ist leider schwer und für mich nicht nachvollziehbar, in den Fällen die Festsetztung der Dokumentenpauschale zu erreichen. Die OLG lehnen es fast einheitlich ab. Ggf. ändert sich da aber etwas durch ein hoffentlich kommendes 3. KostRMoG.

OWi II: Stoßseufzer aus Düsseldorf?, oder. Gott sei Dank, VerfG Saarland umschifft

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Nach OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter, dann eine “schöne” – na ja, das kann man bezweifeln – Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Bereich.

Das AG hatet den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von unter 100 € verurteilt. Der Betroffene hat u.a. die Versagung rechtlichen Gehörs geltend gemacht und die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG gegen die Verurteilung beantragt. Der Antrag hatte natürlich keinen Erfolg. Das OLG hat im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.07.2018 – IV-2 RBs 133/18 – den Zulassungsantrag zurückgewiesen und führt dazu u.a. aus:

“b) Auch die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes in dem vom Betroffenen angeführten Beschluss vom 27. April 2018 (Lv 1/18) verhelfen dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Der Verfassungsgerichtshof (a. a. O., Rn. 37 nach juris m. w. N.) stellt nicht in Zweifel, dass Einsichtsgesuche der hier gegenständlichen Art gegenüber der Verwaltungsbehörde zu verfolgen sind und nicht erst in der Hauptverhandlung erstmalig verbunden mit dem Antrag auf Aussetzung derselben gestellt werden dürfen (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2015, Az. IV-2 RBs 63/15, juris = NZV 2016, 140, 142; vgl. auch § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG). Kommt die Verwaltungsbehörde dem nicht nach, hat der Betroffene sein Begehren im Wege des § 62 OWiG weiterzuverfolgen (Senat a. a. O.). Das ist hier anders als in dem vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschiedenen Fall nicht geschehen. Die Rechtfertigungsschrift teilt zu einem solchen Antrag lediglich mit, dessen Stellung sei durch den Verteidiger des Betroffenen in der Schrift, mit der dieser bei der Verwaltungsbehörde die hier gegenständlichen Einsichtsrechte geltend gemacht habe, für den Fall der Ablehnung desselben erklärt worden. Eine wirksame Anfechtung der ablehnenden Entscheidung der Verwaltungsbehörde ist damit jedoch nicht erfolgt, weil Entscheidungen nicht vor deren Erlass angefochten werden können (BGHSt 25, 187, 189).

Schon allein deswegen kommt eine Versagung des rechtlichen Gehörs auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Entscheidung nach § 62 OWiG in Betracht.2

Man kann den Stoßseufzer der Erleichterung quasi hören. Uff, Gott sei Dank, VerfG Saarland umschifft. Man ist erleichtert gewesen,  dass man auf den formalen Dreh mit der zu frühzeitigen „Anfechtung“ der Versagungsentscheidung gekommen ist. Damit war man einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung der VerfG Saarland enthoben.

Für den Verteidiger bedeutet diese Entscheidung: Zunächst nur den Antrag auf Einsicht stellen und erst, wenn der abgelehnt worden ist, dagegen dann den Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Dann ist die Hürde genommen und das OLG muss sich andere Gedanken machen, wie man eine Stellungnahme zum Beschluss des VerfG Saarland umschiffen kann.

Rechtlicher Hinweis in der Hauptverhandlung, oder: Danach muss es genügend Verteidigungszeit geben

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Die 35. KW. eröffne ich mit zwei BGH-Entscheidungen. Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 13.07.2018 – 1 StR 34/18, der eine Problematik aus § 265 StPo zum Gegenstand hat. Also “rechtlicher Hinweis”. Damit hat der BGH derzeit recht viel zu tun, was sicherlich auch daran liegt, dass die Vorschrift durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) geändert/erweitert worden ist. Da braucht sie etwas “Feinschliff”.

In dem Beschluss vom 13.07.2018 geht es aber nicht in der Hauptsache um Fragen, die mit der gesetzlichen Neuregelugn zu tun haben, sondern um eine auch schon zum alten Recht sich immer wieder stellende Frage, ob dem Angeklagten nach einem rechtlichen Hinweis ausreichende Verteidigungszeit gegeben worden ist, sich auf die neue Lage einzustellen.

Es ging hier in etwa um folgendes Verfahrensgeschehen: Mit der Anklage waren dem Angeklagten drei Fälle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung hinsichtlich der C. Ltd. für die Jahre 2006 bis 2009 und 17 Fälle der mittäterschaftlichen Steuerhinterziehung hinsichtlich der L. GmbH zur Last gelegt worden. Die Anklageschrift war jeweils von Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) sowie davon ausgegangen, dass für eine mittäterschaftliche Begehung eine rein faktische Geschäftsführerstellung nicht ausreichend sei. Die erforderliche Rechtspflicht zur Aufklärung über steuerliche Tatsachen (§ 35 AO) habe für den Angeklagten erst ab dem 11.11. 2011 bestanden, so dass diesem nur für die nach diesem Zeitpunkt eingereichten Steuererklärungen mittäterschaftliches Handeln zur Last gelegt wurde.

In einem noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgten Gespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten gemäß § 202a StPO wies der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer darauf hin, dass das Gericht entgegen der rechtlichen Wertung in der Anklageschrift Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) für gegeben erachte, so dass es auf eine Organ- oder Pflichtenstellung des Angeklagten M. für eine täterschaftliche Strafbarkeit nicht ankomme. Weitere Ausführungen zur Beteiligungsform des Angeklagten M. erfolgten in diesem Rahmen nicht. Diese Einschätzung wiederholte der Vorsitzende in einem weiteren Gespräch am dritten Hauptverhandlungstag.

Am 20. Hauptverhandlungstag erteilte der Vorsitzende sodann den rechtlichen Hinweis, dass bei dem Angeklagten M. „auch eine Verurteilung wegen mittäterschaftlicher Umsatzsteuerhinterziehung für die Jahre 2006 – 2009 in Betracht“ komme. Nach weiteren sieben Hauptverhandlungstagen wurde die Beweisaufnahme geschlossen, ohne dass bis dahin weitere Hinweise erfolgt wären. Im unmittelbaren Anschluss hielt der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft seinen Schlussvortrag und beantragte darin, den Angeklagten wegen 20 (tatmehrheitlichen) Fällen der mittäterschaftlich begangenen Steuerhinterziehung zu verurteilten.

Die Plädoyers der Verteidiger waren für den nächsten Hauptverhandlungstag in der Folgewoche vorgesehen. In diesem Termin trat die Strafkammer jedoch wieder in die Beweisaufnahme ein. Sie erteilte den rechtlichen Hinweis, „dass beim Angeklagten M. in Abweichung von der Anklage auch eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in 20 tateinheitlichen Fällen in Betracht kommt unter dem Gesichtspunkt eines uneigentlichen Organisationsdelikts. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Anknüpfungspunkt für die strafbare Handlung nicht eine individualisierte Tathandlung ist, die jeder einzelnen Tat zugeordnet werden kann, sondern der Täter die organisatorische Grundlage für eine Vielzahl von Taten des Vordermanns schafft“.

In der Folge wurde die Beweisaufnahme erneut geschlossen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hielt seinen Schlussvortrag. Anschließend trat die Strafkammer, da die Verteidigung eines anderen Angeklagten verschiedene Anträge angekündigt hatte, wieder in die Beweisaufnahme ein. Nach Stellung der Anträge wurde die Hauptverhandlung für 24 Minuten unterbrochen und danach fortgesetzt. Die Verteidigung des Angeklagten beantragte im Hinblick auf den o.g. Hinweis, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und am selben Tag nicht mehr fortzusetzen. Die Verteidigung sei zur Frage der Zurechnung über die Konstruktion des uneigentlichen Organisationsdelikts nicht vorbereitet, so dass insofern eine angemessene Verteidigung nicht gewährleistet werden könne.

Die Strafkammer wies diesen Antrag nach einer weiteren 19-minütigen Unterbrechung der Hauptverhandlung unter Verweis auf den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen zurück; der erteilte Hinweis betreffe „lediglich die Frage der zutreffenden Beurteilung der Konkurrenzen und die rechtliche Einordnung täterschaftlicher Begehungsweise“. Auch sei eine Beurteilung als tateinheitliche Begehung nicht geeignet, zu einer Erhöhung der Strafe zu führen. Nachdem die Beweisaufnahme wiederum geschlossen worden war, plädierten zunächst der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft durch Wiederholung seiner Anträge und die Verteidiger des anderen Angeklagten. Nach einer 55-minütigen Mittagspause erhielten die Verteidiger des Angeklagten das Wort. Diese stellten im Rahmen ihrer Schlussvorträge sechs Hilfsbeweisanträge, die darauf ausgerichtet waren, dass dem Angeklagten keine für eine mittäterschaftliche Tatbegehung erforderlichen, individualisierbaren Tatbeiträge nachgewiesen werden könnten.

Der Angeklagte M. wurde schließlich in dem Folgetermin, der fünf Tage später stattfand, entsprechend des oben genannten Hinweises verurteilt, d.h. die Strafkammer ging von der Beteiligungsform der mittelbaren Täterschaft in Form eines uneigentlichen Organisationsdelikts aus. Die Hilfsbeweisanträge wurden im Wesentlichen als tatsächlich bedeutungslos abgelehnt; daraus, dass der Angeklagte nicht als Verantwortlicher nach außen aufgetreten sei, folge nicht zwingend, dass er nicht der Verantwortliche im Hintergrund gewesen sei.

Hier musste man zum Sachverhalt etwas weiter ausholen, um die Entscheidung des BGH zu verstehen. Der geht davon aus, dass die Verfahrensweise der Kammer 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StPO. Deren Sinn und Zweck sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen und eine Beschränkung seiner Verteidigung zu verhindern. Hier sei sowohl nach § 265 Abs.1 StPO als auch nach Abs. 2 Nr. 2 StPO ein Hinweis erforderlich gewesen. Zwar habe das LG dem Angeklagten den erforderlichen Hinweis erteilt. Aber:

“Es hat ihm und seinen Verteidigern anschließend aber nicht ausreichend Gelegenheit zur Verteidigung gegeben. Der Vorsitzende muss durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen, dass das Gericht bereit ist, mit Rücksicht auf die eingetretene Veränderung Erklärungen und Anträge entgegenzunehmen und zu prüfen, und es muss dem Angeklagten zu solchen Erklärungen und Anträgen Zeit gelassen werden (vgl. bereits RG, Urteile vom 20. Februar 1891 – 12/91, RGSt 21, 372, 374 und vom 25. April 1894 – 1370/94, RGSt 25, 340, 342; Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 265 Rn. 89). Wie viel Zeit dem Angeklagten und seinen Verteidigern hierzu einzuräumen ist, lässt sich zwar nicht allgemein bestimmen. Jedenfalls muss sie aber unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse als ausreichend angesehen werden können (BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64 Rn. 7).

Das war hier nicht der Fall. Die anwesenden Verteidiger des Angeklagten M. hatten, nachdem der Vorsitzende den Hinweis erteilt hatte, einen Aussetzungs- bzw. hilfsweisen Unterbrechungsantrag gestellt und darin ausdrücklich erklärt, die Verteidigung sei auf die Frage der Zurechnung über die Konstruktion des uneigentlichen Organisationsdelikts nicht vorbereitet und benötige dafür jedenfalls Zeit bis zum nächsten Hauptverhandlungstermin. Damit brachten sie zum Ausdruck, dass sie sich nach der bis dahin 28 Tage andauernden Hauptverhandlung nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft und kurz vor den eigenen Schlussvorträgen außerstande fühlten, die Verteidigung gegenüber den veränderten rechtlichen Gesichtspunkten ordnungsgemäß zu führen.

Das war unter den dargelegten Umständen plausibel. Bei dem Gewicht der Veränderung und bei der Schwierigkeit des veränderten rechtlichen Gesichtspunktes, der nicht alltäglich ist und auf den sich die Verteidigung auch nach Kenntnis der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses sowie des zwischenzeitlich erteilten rechtlichen Hinweises besonders hätte vorbereiten müssen, war zumindest eine längere Unterbrechung unerlässlich, die der Verteidigung eine hinreichend gründliche Vorbereitung auf die rechtliche Beurteilung des uneigentlichen Organisationsdelikts nebst allen dabei zu bedenkenden Verknüpfungen ermöglicht hätte. Die 55-minütige Mittagspause war hierfür jedenfalls nicht ausreichend. Auch konnte nicht erwartet werden, dass die Verteidigung während der laufenden Hauptverhandlung und unter Inkaufnahme, dieser nicht folgen zu können, unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage vorbereitet wird. Durch die Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne nennenswerte Unterbrechung und Ablehnung des weitergehenden Unterbrechungsantrags, hat das Landgericht dem Angeklagten entgegen dem Willen des Gesetzgebers keine ausreichende Gelegenheit zur Vorbereitung einer Verteidigung gegenüber der veränderten Rechtslage gewährt und gegen § 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StPO verstoßen. Zugleich liegt darin eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne von § 265 Abs. 4 i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64 Rn. 7 und Beschluss vom 1. März 1993 – 5 StR 698/92, NStZ 1993, 400).

§ 265 Abs. 4 StPO enthält einen über die voranstehenden Absätze hinausgehenden Grundsatz, der besagt, dass das Gericht im Rahmen seiner Justizgewährungspflicht für eine Verfahrensgestaltung zu sorgen hat, die die Wahrung der Verfahrensinteressen aller Verfahrensbeteiligten, vor allem aber die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht verkürzt. Der Begriff der „veränderten Sachlage“ darf daher nicht eng ausgelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958, 1736, 1737; Radtke in Radtke/Hohmann, aaO Rn. 106; LR/Stuckenberg, aaO Rn. 99; KK/Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 265 Rn. 29). Eine Veränderung der Sachlage ist daher auch anzunehmen, wenn das Gericht – wie vorliegend – aus den dem Angeklagten bereits aus der zugelassenen Anklage bekannten Tatsachen andere rechtliche Folgerungen zieht (BGH, Beschluss vom 1. März 1993 – 5 StR 698/92, aaO; so auch KK/Kuckein, aaO). Indem das Landgericht den hilfsweise gestellten Unterbrechungsantrag im Wesentlichen unter Hinweis auf das Beschleunigungsgebot und mit dem Argument ablehnte, der erteilte Hinweis betreffe lediglich Fragen der Konkurrenzen und der Art der Alleintäterschaft, übte es das ihm gemäß § 265 Abs. 4 StPO zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß aus (zur Revisibilität der Ermessensausübung vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958, 1736, 1738 und Beschluss vom 27. Februar 2007 – 3 StR 44/07, StraFo 2007, 243); denn es nahm nicht ausreichend in den Blick, dass sich die Anforderungen an den Nachweis von Alleintäterschaft und mittelbarer Täterschaft in Form des uneigentlichen Organisationsdelikts deutlich unterscheiden, dass der Hinweis erst nach 28 Hauptverhandlungstagen erfolgte, nachdem die Beweisaufnahme bereits geschlossen worden war, und zeitnah bereits weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt waren, so dass sich die Verzögerung durch eine weitergehende Unterbrechung in Grenzen gehalten hätte.”

Eine Entscheidung, mit der sich argumentieren und den Gerichten (hoffentlich) Einhalt gebieten lässt, wenn der Verteidiger und der Angeklagte, was ja in der Praxis nicht selten ist, mit am Ende der Hauptverhandlung erteilten (rechtlichen) Hinweisen überfahren werden (sollen). Dann kann man mit der Entscheidung mehr “Verteidigungszeit” einfordern.

Jurablogs ist gegangen…., oder: Sag zum Abschied leise Servus/danke…., oder: Abschied zum Zweiten….

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Vater von Oktaeder Original uploader was Oktaeder at de.wikipedia

Seit gestern ist es nun “amtlich”, was ich in den letzten Tagen schon befürchtet hatte: JuraBlogs ist abgeschaltet. Allen häufigeren Besuchern/Nutzern von JuraBlogs war sicherlich auch schon seit einigen Tagen aufgefallen, das es das vertraute JuraBlogs an der bekannten Stelle nicht mehr gab. Zunächst war ich von einem (weiteren, dieses Mal großen) Relaunch ausgegangen, das ist es nun aber leider nicht. Matthias Klappenbach teilt nämlich gestern mit: “Wie Ihr unter Umständen mitbekommen habt, gibt es JuraBlogs in der bekannten Form nicht mehr. Viele persönliche und berufliche Änderungen lassen das Weiterbetreiben in der ursprünglichen Form leider nicht mehr zu.

Das hatten wir ja leider schon mal, nämlich Ende Mai 2016. Dazu hatte ich damals auch gepostet/gebloggt, und das Posting hole ich dann heute wieder hervor und zitiere:

Von Peter Alexander gibt/gab es den Song:“Sag beim Abschied leise Servus”. Tja und das müssen wir nun wohl sagen. Denn morgen geht JuraBlogs nach 12 Jahren offline, wie uns Matthias Klappenbach in seinem Blog vor ein paar Tagen mitgeteilt hat. Traurig, aber leider wahr, Und sehr, sehr schade.

Denn: JuraBlogs ich – und ich denke nicht nur ich – werde dich vermissen. Du warst eine wunderbare Plattform, um sich schnell und ohne große Schwierigkeiten darüber zu informieren, was in der juristischen Welt so alles passiert (ist), welche neuen interessanten Entscheidungen es gibt – die man ggf. selbst noch nicht entdeckt hatte -, und auch, um selbst zu bloggen bzw. seine Blogbeiträge über das eigene Blog hinaus zu verteilen. Für mich war JuraBlogs morgens häufig die erste Adresse im Netz, um eben mal schnell zu schauen, was es so Neues gibt. Und ich räume ein: Auch das Ranking fand ich “interessant”, war es doch ein guter Gradmesser, ob die Beiträge, die man selber gepostet hatte, beim Leser/Kunden angekommen waren/sind. Und manchmal war ich überrascht, wenn ein Beitrag, bei dem man nicht damit gerechnet hatte, viele “Klicks” bekam und ein anderer, den man selbst unheimlich toll gefunden hatte, irgendwo vor sich hin dümpelte.

Das gibt es nun alles nicht mehr. Wie gesagt: Sehr, sehr schade. Aber ich kann die Entscheidung von Matthias verstehen. Wenn man schon viel Zeit in ein solches Projekt inverstiert, dann sollte/muss es sich auch wirtschaftlich lohnen. Mit der Einführung des Bezahlmodells – ich erinnere nur an Hin und Her um dieses Modell – ist das zumindest wohl insoweit gelungen, als das Projekt JuraBlogs “kostennuetral” läuft, aber: Mit dem Bezahlmodell sind natürlich die Erwartungen der Kunden pp. an den Service gestiegen – ich kann mir vorstellen wie 🙂 . Und dann muss man sich wirklich fragen, ob es sich lohnt, weiter zu machen.

Alles in allem bleibt dann nur noch zu sagen: Danke Matthias für die vielen Mühen und die Zeit, die du zu unser aller Nutzen in das Projekt gesteckt hat. Und du warst auch immer bereit, Fragen hinter den Kulissen zu beantworten. Ich wünsche dir bei anderen Projekten usw. viel Erfolg. Genieße die “JuraBlogs freie Zeit” und, um den Eingang aufzugreifen:

Sag’ beim Abschied leise ‘Servus’, nicht ‘Lebwohl’ und nicht ‘Adieu’, diese Worte tun nur weh. Doch das kleine, Wörter’l ‘Servus’, ist ein lieber letzter Gruss, wenn man Abschied nehmen muss.

Es gibt Jahraus Jahrein, ein neuen Wein und neue Liebelein. Sag’ beim Abschied leise ‘Servus’, und gibt’s auch ein Wiedersehen, einmal war es doch schön.”

Zunächst wiederhole ich den dank an Matthias Klappenbach. Ich kann mir vrostellen, welche Mühen Jurablogs gemacht hat. Und das bei einem kostenlosen Angebot. Aber – ich weiß es von meiner eigenen Homepage: Desto günstiger ein Angebot ist, desto höher sind die Ansprüche der Nutzer.

Wie geht es nun weiter: Beim letzten Mal war es dann ja doch kein endgültiger Abschied (vgl. hier: Totgesagte leben länger, oder: JuraBlogs macht (vorerst) weiter). Aber das scheint dieses Mal anders zu sein, zumindest auf den ersten Blick. Ein wenig Hoffnung machen allerdings die Eingangssätze im noch geschalteten JuraBlogs Blog :-):

Ich bin mir nicht sicher, was unter dieser Domain in Zukunft passieren sollte. Dieses Blog soll uns die Möglichkeit geben, darüber zu diskutieren. Ich wollte nicht für Wochen einfach nur eine „404-Nicht-Gefunden“-Seite anzeigen lassen ;-).

Falls Ihr eine Idee habt, bitte ich um einen Kommentar.

Und “Übernahmeangebote” sind ja schon da. Vielleicht bewegt sich ja doch noch was. Ich gehe allerdings vom endgültigen Schluss aus.

Das bedeutet: Man muss sich ab sofort selbst darum kümmern, dass man “Up-to-date” bleibt; darauf hatte ich ja auch schon Ende Mai 2016 hingewiesen. Ich habe meine Vorbereitungen getroffen.

Und für denjenigen, der bisher über Jurablogs von neuen Postings beim “BOB” erfahren hatte, hier dann – noch einmal 🙂 – die Möglichkeiten, wie man sich nun ggf. anders informieren kann:

Das sollte reichen, oder: Ich denke/hoffe, man sieht sich 🙂 .

Und für Mathias Klappenbach und “sein” Jurablogs nochmals: Danke und Servus!!!!!!!!!!!

Verfahrensrüge II: Terminsnachricht nicht erhalten, oder/aber: Offensichtlich unbegründet?

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Im zweiten Posting des Tages stelle ich den BGH, Beschl. v. 10.07.2018 – 1 StR 628/17 – vor. Es geht um die Revision eines Verfallsbeteiligten in einem Verfahren, in dem die Angeklaagten wegen Bestechlichkeit/Bestechung im geschäftlichen Verkehr  verurteilt worden sind.  Das LG hatte Landgericht festgestellt, dass die Verfallsbeteiligte Firma P. GmbH aus der Tat des Angeklagten D. einen Wert von 1.100.999 Euro und die Verfallsbeteiligte A. aus der Tat einen Wert von 1.060.000 Euro erlangt haben, wobei beide Verfallsbeteiligte in Höhe einer Summe von 1.060.000 Euro als Gesamtschuldner haften. Dagegen die Revision der Verfallsbeteiligten A., mit der sie u.a. die Verletzung formellen Rechts gerügt hatte. Der BGH hat die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Er führt zur Verfahrensrüge aus:

“5. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Verfahrensrüge, sie habe ihre prozessualen Rechte als Verfallsbeteiligte nicht wahrnehmen können, weil die Hauptverhandlung entgegen § 436 Abs. 1 StPO aF i.V.m. § 442 Abs. 1 StPO aF durchgeführt worden sei, obwohl ihr die Terminsnachricht nicht gemäß § 435 StPO aF zugestellt worden sei, ist bereits unzulässig.

a) Sie ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt. Die Revision teilt nicht mit, dass die Terminsmitteilung vom 31. Mai 2017 der Verfallsbeteiligten A. am 10. Juni 2017 mittels Einwurf in den Briefkasten durch Niederlegung mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden ist (SA Bd. VII, Bl. 368 mit Anlage). Dieser Mitteilung hätte es bedurft, da die Verfallsbeteiligte aufgrund der zugestellten Terminsmitteilung in die Lage versetzt wurde, von ihren prozessualen Rechten im Rahmen der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen.

Auf diesen Vortrag kann auch nicht deswegen verzichtet werden, weil die Terminsmitteilung erst nach dem zweiten Hauptverhandlungstag zugestellt werden konnte. Damit lagen zwar für die ersten beiden Hauptverhandlungstage die Voraussetzungen für ein Verhandeln ohne die Verfallsbeteiligte gemäß § 436 Abs. 1 StPO aF nicht vor, sodass das Landgericht die Hauptverhandlung an diesen beiden Tagen nicht ohne die Verfallsbeteiligte hätte durchführen dürfen (vgl. Metzger in KMR, StPO, 81. EL, § 435 Rn. 7 und Weßlau in SK-StPO, 4. Aufl., § 435 Rn. 3). Andererseits wird aber gemäß § 431 Abs. 7 StPO aF der Fortgang des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligung nicht aufgehalten. So hätte – wenn dies nicht bereits im Vorfeld geschehen wäre – die Nebenbeteiligung gemäß § 431 Abs. 4 i.V.m. § 442 Abs. 2 StPO aF auch erst während laufender Hauptverhandlung bis spätestens zum Zeitpunkt der Verfallsentscheidung angeordnet werden dürfen. Auch in diesem Fall wären dann die prozessualen Rechte des Nebenbeteiligten, sofern sie ohne Verschulden vorher nicht wahrgenommen werden konnten, im Rechtsmittelverfahren gemäß § 437 Abs. 1 StPO aF und im Übrigen im Nachverfahren gemäß § 439 StPO aF gewahrt. Entscheidend ist daher hier, ob die Verfallsbeteiligte ihre prozessualen Rechte noch in der Hauptverhandlung hätte geltend machen können. Die weiteren fünf Hauptverhandlungstage nach Zustellung der Terminsnachricht (20., 21., 26., 27. und 30. Juni 2017) hätten aber ausgereicht, um von den prozessualen Befugnissen als Verfallsbeteiligte Gebrauch zu machen. Denn der Grundsatz, dass der Fortgang des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligung nicht aufgehalten wird (§ 431 Abs. 7 StPO aF), kann im Einzelfall durch den Anspruch des Verfallsbeteiligten auf rechtliches Gehör eingeschränkt sein (vgl. Weßlau in SK-StPO, 4. Aufl., § 431 Rn. 27). Soweit zur Wahrung der prozessualen Rechte der Verfallsbeteiligten erforderlich, hätte das Landgericht deshalb etwa bereits gehörte Zeugen für einen der weiteren Hauptverhandlungstage ein weiteres Mal laden können, wenn die Verfallsbeteiligte nach der Terminsmitteilung noch Einwendungen erhoben oder Anträge gestellt hätte.”

Wenn ich mir den Beschluss des BGh so insgesamt ansehe, frage ich mich mal wieder: “OU-Verwerfung” – jedenfalls führt der BGH in den Gründen § 349 Abs. 2 StPO an. Dann aber eine gut sechs Seiten lange Begründung. So “offensichtlich… ” kann die Unbegründetheit also nicht gewesen sein.

Strafzumessung III: Bagatellstraftat, oder: Erörterungsmangel

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Und zum Abschluss der “Strafzumessungsfortbildung” 🙂 dann noch den OLG Köln, Beschl. v. 23.03.2018 – 1 RVs 54/18. Thematik: Mal wieder die Frage der Strafzumessung bei der Veurteilung wegen einer Bagatellstraftat. Das AG hatte die “seit 2003 vielfach wegen Diebstahls vorbelastete, zuletzt 2015 und 2016 deswegen zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilte Angeklagte am 13. Juni 2017 erneut wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt und diese Strafe wiederum zur Bewährung ausgesetzt. Zugrunde liegen Ladendiebstähle, bei welchen die Angeklagte Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände im Werte von 15,99 € bzw. 7,– € an sich nahm.” Das LG hat auf die Strafmaßberufung der StA das AG-Urteil aufgehoben und die Angeklagte zu einer einer nicht mehr zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten – bei Einzelstrafen von je zwei Monaten – verurteilt. Das OLG hat aufgehoben. Begründung: Erörterungsmangel:

“Anerkannt ist andererseits, dass die Anforderungen an eine umfassende Abwägung und eine erschöpfende Würdigung der für die Bemessung der Strafe maßgeblichen straferschwerenden und strafmildernden Umstände umso höher sind, je mehr sich die Strafe bestimmten Grenzsituationen nähert. Das gilt für die Frage der Aussetzungsfähigkeit (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Auflage 2017, Rz. 1446), das gilt namentlich aber auch, je mehr sich die im Einzelfall verhängte Strafe dem unteren oder oberen Rand des Strafrahmens nähert (BGH NStZ-RR 2003, 52 [53]; Schäfer/Sander/van Gemmeren a.a.O. Rz. 1445;  Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 46 Rz. 149 je m. N.). Vom Vorliegen einer solchen Situation ist hier auszugehen:

b) Das Tatgericht führt – wenn auch im Kontext mit der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB – mit Recht aus, dass gerade bei Bagatelltaten das Übermaßverbot besonderer Beachtung bedürfe und geht zutreffend davon aus, dass dann, wenn schon geringfügige Straftaten ohne erschwerende Besonderheiten den Ausspruch einer Freiheitsstrafe erfordern, es die Anforderung an einen gerechten Schuldausgleich und die Beachtung des Übermaßverbots gebieten können, auf die Mindeststrafe zu erkennen (st. Senatsrechtsprechung vgl. beispielhaft zu Ladendiebstählen SenE v. 03.03.2009 – 81 Ss 8/09 – [Beutewert 9,20 € und 9,99 €]; SenE v. 20.07.2010 – III-1 RVs 125/10 – [9,95 €]; SenE v. 08.02.2011 – III-1 RVs 23/11 – [11,10 €]; SenE v. 28.04.2017 – III-1 RVs 87/17 – [9,75 €]; vgl. weiter OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Oldenburg StRR 2008, 323). Dieser Umstand musste das Tatgericht zu einer besonders gründlichen und umfassenden Abwägung namentlich der strafmildernden Gesichtspunkte drängen; dem genügen die Urteilsgründe nicht zur Gänze:

Das Amtsgericht hat der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zugute gebracht, dass die entwendeten Waren „letztlich auch bei den Geschädigte verblieben“ seien. Feststellungen zum Verbleib der Tatbeute sind mit Blick auf den Schuldumfang stets geboten (SenE v. 12.07.2013 – III-1 RVs 135/13 -; SenE v. 29.09.2017 – III-1 RVs 228/17; SenE v. 20.10.2017 – III-1 RVs 258/17 -). Sie nehmen als diesen (mit-)bestimmend und als Umstand, der geeignet ist, die Tat als einen geschichtlichen Vorgang näher zu beschreiben (hierzu vgl. jüngst SenE v. 02.03.2018 – III-1 RVs 14/18 m. zahlr. Nachw.) an der durch die erklärte Beschränkung bewirkten Bindung der Berufungsstrafkammer an die amtsgerichtliche Feststellungen teil (so auch KG StraFo 2016, 83 – bei Juris Tz. 18). Im Rahmen ihrer Ausführungen zur Strafbemessung hat die diesen Umstand an keiner Stelle der Urteilsgründe erwähnende Berufungsstrafkammer aber nicht erkennbar in ihre Überlegungen mit einbezogen, dass sich selbst der potentiell geringe Schaden hier nicht realisiert hat. Das wäre aber nach dem zuvor Dargestellten im Sinne einer umfassenden Abwägung und erschöpfenden Würdigung der strafzumessungsrelevanten Umstände in einem Bereich geboten gewesen, der im Hinblick auf die Höhe zu verhängender Freiheitsstrafe einen Grenzfall darstellt (vgl. auch KG a.a.O. – bei Juris Tz. 16). Der Senat vermag letztlich nicht auszuschließen, dass  die erkannten Einzelstrafen niedriger ausgefallen wären, hätte das Tatgericht sich den Umstand bewusst gemacht, dass die Tat letztlich ohne Realschaden geblieben ist.”

Habe fertig – die Druckmaschinen laufen für “Burhoff, Ermittlungsverfahren, 8. Aufl.”

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So, ein Posting außer der Reihe. Das bedeutet in der Regel: Werbung. Daher: <<Werbemodus>> an. Zu berichten gibt es Folgendes:

Wir haben fertig – rechtzeitig vor meinem Urlaub 🙂 . Und zwar: “Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl.”. Habe fertig bedeutet: Die Fahnen befinden sich auf dem Weg in die Druckerei. Und wenn dort alles gallt läuft, müsste das Werk im Otkober lieferbar sein. Ich bin da ein wenig vorsichtig, denn man weiß ja nie, was noch alles passiert.

Jedenfalls ist damit der erste Schritt mal wieder getan, um die Handbücher zu aktualisieren. Das erste Werk ist dann da. Es folgt dann in kurzem Abstand “Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl.”. Und dann sind wir komplett. Es liegen dann mit dem “Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen, Rechtsmittel, 2. Aufl.” und “Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge” rund 8.500 Seiten zum Strafverfahrensrecht vor. “Geballtes Wissen” 🙂

Wie gesagt: Dieses Posting ist ein Werbeposting, das heißt: Es gibt einen Link zur Bestellseite auf meiner HP, wo man (vor)bestellen kann, und zwar:

  • Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2018
  • Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2018
  • Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen, Rechtsmittel, 2. Aufl., 2016
  • Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016
  • Burhoff Paket 1: Burhoff, Handbuch Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung,
  • Burhoff Paket 2: Burhoff/Kotz (Hrsg.). Handbuch Rechtsmittel und Nachsorge
  • Komplettpaket Strafverteidiger: Handbuch, Ermittlungsverfahren, Hauptverhandlung, Rechtsmittel und Nachsorge

Mit den Auswahlmöglichkeiten dürfte kein Wunsch offen bleiben. Besonders interessant die Pakete. damit kann man einigen an Euros sparen. Bei dem Komplettpaket sind es satte 177 €. Also, was will man mehr.

Und hier geht es dann – noch einmal – zur Bestellseite.

Die Handbücher Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung kommen dann, wenn die beiden Neuerscheinungen lieferbar sind – das gilt auch für die jeweiligen Pakete. Die Handbücher Rechtsmitte, Nachsorge und das Paket 2 kommen jetzt sofort.

<<Werbemodus aus>>


Ablehnung der Vernehmung des Auslandszeugen; oder: Keine Einzelbetrachtung, sondern Gesamtschau

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In der zweiten BGH-Entscheidung des heutigen Tages, dem BGH, Beschl. v. 12.07.2018 – 3 StR 144/18 -, geht es um einen Auslandszeugen. Das LG hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Dagegen die Revision mit der Verfahrensrüge, mit der die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) wegen der unterbliebenen Vernehmung von zwei Auslandszeugen beanstandet wird. Die hat dann beim BGH Erfolg:

b) Der Ablehnungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab des § 244 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 StPO nicht stand.

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Mit dieser Vorschrift sind die Möglichkeiten zur Ablehnung eines solchen Beweisantrags nur um den schmalen Bereich erweitert, den die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht zulassen, obwohl die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) die Beweiserhebung nicht gebietet (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 12). Bei der Prüfung der Aufklärungspflicht hat das Tatgericht namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist es von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit und darf es seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie die zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht bestätigen werde oder dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigt, ist eine Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 mwN; Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13).

In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Ablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (siehe nur BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 mwN).

Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rand betreffen. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (siehe nur BGH aaO; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 357 mwN).

bb) An diesen Grundsätzen gemessen hat das Landgericht die Ablehnung nicht ausreichend begründet. Es hat die zu erwartenden Aussagen der Tante des zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten, der Zeugin L. , in deren Wohnung sich der Angeklagte nach dem Inhalt des Beweisantrags aufgehalten haben soll, und eines Bekannten, des Zeugen K. , der für den Angeklagten bei therapeutischen Behandlungen durch die vernommene Ärztin S. übersetzt haben soll, nicht in der erforderlichen Gesamtwürdigung den bisherigen Beweisergebnissen gegenübergestellt; es hat sich stattdessen auf die Begründung beschränkt, dass das Gegenteil der behaupteten Tatsache, nämlich die Anwesenheit des (maskierten) Angeklagten am Tatort in Ku. , bereits bewiesen sei. Dabei würde es auch bleiben, wenn die beiden Zeugen die Anwesenheit des Angeklagten in Polen zur Tatzeit bestätigen würden. Die für seine Überzeugungsbildung maßgeblichen Beweisergebnisse, namentlich die belastenden Zeugenaussagen der beiden Mittäter D. und T. sowie die Aussage des geschädigten Wei. , dass sich die Statur des Täters mit der des Angeklagten vereinbaren lässt, hat das Landgericht für sich genommen rechtsfehlerfrei ausführlich gewürdigt; auch hat es nachvollziehbar dargelegt, warum es der Alibi-Zeugin S. nicht geglaubt hat.

Bei dieser Einzelbetrachtung hätte das Landgericht indes nicht stehenbleiben dürfen. Es hätte in einer – wie stets in einer Beweisaufnahme erforderlichen – Gesamtschau darlegen müssen, warum die – zulässigerweise zu prognostizierenden – Aussagen der beiden weiteren aufgebotenen Entlastungszeugen nichts an den bisherigen Beweisergebnissen, auch am Beweiswert der Aussage der bereits vernommenen Alibi-Zeugin ändern würden. Eine solche Gesamtwürdigung war hier unerlässlich, weil der Beschwerdeführer eine Haupttatsache in das Zeugnis der beiden Auslandszeugen gestellt hat: Das Gelingen dieses Alibibeweises hätte den Schuldvorwurf unmittelbar entfallen lassen. Die Beweislage ist in diesem Fall durch die Würdigung von Zeugenaussagen geprägt; außerhalb der Aussagen liegende objektive Umstände wie etwa Tatortspuren hat das Landgericht nicht festgestellt (dazu BGH, Urteil vom 13. März 2014 – 4 StR 445/13, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14). Dieser nicht einfachen, eher nicht gesichert erscheinenden Beweislage hat das Landgericht mit der gegebenen Begründung nicht im notwendigen Maße Rechnung getragen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, NStZ 2017, 96, 97 f.). Nach alledem bleibt nach dem Inhalt des Ablehnungsbeschlusses letztendlich offen, warum es das Gericht für ausgeschlossen gehalten hat, dass die Aussagen der Zeugen L. und K. – auch unter nochmaliger Würdigung der Angaben der bereits vernommenen Zeugin S. – die Aussagen der beiden Mittäter entkräften konnten (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62 f.).”

Pflichtverteidiger bei richterlicher Vernehmung, nur Terminsgebühr, oder: Verteidigung zum Nulltarif

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Gebührenfreitag ist. Und das bedeutet: Es gibt gebührenrechtliche Entscheidungen. Die erste ist der OLG Celle, Beschl. v. 10.09.2018 – 3 Ws 221/18. Für mich ein Ärgernis.

Das OLG hat über folgenden Sachverhalt entschieden: Gegen den Beschuldigten war ein Verfahren wegen eines versuchten Tötungsdelikts anhängig. Für den Beschuldigten meldete sich Rechtsanwalt WX, der dem Beschuldigten gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde. Er erklärte er, der Beschuldigte werde von seinem Schweigerecht Gebrauch machen; weitere Einlassungen würden nur über ihn erfolgen. Rechtsanwalt WX beantragte außerdem, dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger gemäß § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO für die anstehende Verkündung des Haftbefehls als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Sollte eine Terminsabstimmung mit ihm nicht möglich sein, benenne er Rechtsanwalt YZ oder Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger für den anstehenden Vernehmungstermin. Zum Termin zur Verkündung des Haftbefehls erschien Rechtsanwalt L., ausweislich des Protokolls als Verteidiger/Terminsvertreter, und beantragte vorab Akteneinsicht, die ihm gewährt wurde. Hierzu wurde die Verhandlung für 5 Minuten unterbrochen. Die Akten hatten zu diesem Zeitpunkt einen Umfang von etwa 200 Seiten. Der Beschuldigte machte zur Sache keine Angaben. Rechtsanwalt L. beantragte sodann Aufhebung des Haftbefehls. Der Vollzug der Untersuchungshaft wurde aufrechterhalten. Sodann wurde Rechtsanwalt WX dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet und wurde Rechtsanwalt L. „für die heutige Haftbefehlsverkündung als notwendiger Verteidiger“ beigeordnet. Im weiteren Verfahren war Rechtsanwalt L. nicht mehr tätig.

Rechtsanwalt L. hat für seine Teilnahme am Termin zur Verkündung des Haftbefehls eine Grundgebühr nach Nr. 4100, 4101 VV RVG, eine Terminsgebühr nach Nummer Nr. 4102, 4103 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nummer 4104 VV RVG sowie eine Auslagenpauschale nach Nummer 7002 VV RVG geltend. Festgesetzt worden ist lediglich die Terminsgebühr. Die Erinnerung hatte keinen Erfolg.

Der Leitsatz der OLG-Entscheidung:

“Wird ein Rechtsanwalt nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO für die Verkündung eines Haftbefehls (oder eine sonstige richterliche Vernehmung) beigeordnet, entsteht regelmäßig nur eine Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG; Verfahrens- und Grundgebühr sowie die Auslagenpauschale fallen in solchen Fällen regelmäßig nicht an.”

Wer mag, kann die falsche Begründung des OLG im Volltext nachlesen. Ich erspare es mir hier und stelle lieber meine Kommentierung der Entscheidung im RVGreport und im StRR ein:

1. „Alle Jahre wieder“ oder „Und immer grüßt das Murmeltier“ – so könnte man die Entscheidung auch überschreiben. Denn mit ihr wird eine alte Diskussion an einer Stelle wieder aufgefrischt, an der sie noch weniger passt als an der ursprünglichen Stelle. Nämlich die Frage: Erhält ein Terminsvertreter für einen beigeordneten Rechtsanwalt in der Hauptverhandlung nur die Terminsgebühr und/oder auch die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr? Das OLG Celle und einige andere OLG haben dazu in der Vergangenheit die Auffassung vertreten: Nur die Terminsgebühr (vgl. u.a. OLG RVGreport 2009, 226: wegen weiterer Nachweise Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 25 ff.). Dass das falsch ist, habe ich bereits dargelegt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV Rn 8 ff.). Die Argumentation gilt auch für den „Terminsvertreter“ bei einer richterlichen Vernehmung. Das OLG führt in seiner Entscheidung zu § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht ein einziges neues Argument an, sondern zieht sich letztlich auf die „Argumentation“ „Das haben wir immer schon so gemacht“ zurück. Seine Auffassung wird auch nicht davon getragen, dass es offenbar meint, dass der bestellte Rechtsanwalt nicht in die Akten Einsicht nehmen müsse. Das Gegenteil ist der Fall und ist hier ja auch geschehen. Zudem verkennt das OLG, dass es eine isolierte Terminsgebühr nicht gibt. Mit der Tätigkeit des Rechtsanwalts ist das „Geschäft betrieben worden, was zur Grundgebühr und Verfahrensgebühr führt (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG; Anm. zu Nr. 4100 VV RVG).

2. Wenn das OLG in seiner Entscheidung darauf hinweist, dass für den Fall einer ungewöhnlich umfangreichen Tätigkeit bei Teilnahme an einer richterlichen Vernehmung die Möglichkeit offen stehe, insoweit eine Pauschgebühr geltend zu machen, ist das schon fast zynisch. Denn, wenn der Verteidiger die Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG beantragt, wird man ihm angesichts der restriktiven Praxis zur Gewährung eines Pauschgebühr sicherlich entgegenhalten, die gesetzliche Gebühr Nr. 4102 VV RVG in Höhe von 166 € sei zumutbar.

3. Wenn außerdem darauf hingewiesen wird, dass es „in praktischer Hinsicht auch im Hinblick auf die hierdurch ausgelösten Gebühren angeraten [erscheint], im Falle einer Beiordnung nach Maßgabe von § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO klarzustellen, dass diese lediglich für die Teilnahme an der richterlichen Vernehmung. resp. am Termin zur Verkündung eines Haftbefehls erfolgt“, ist eine solche Beschränkung überflüssig. Es ist dem OLG offenbar entgangen, dass die Bestellung nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO immer nur für die Dauer der jeweiligen richterlichen Vernehmung erfolgt (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn. 3426 ff.; Schlothauer StV 2017, 557; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 141 Rn 5d). Im Übrigen würde die Beschränkung auch nicht das gebührenrechtliche Probleme lösen.

4. Ich rufe nicht oft nach dem Gesetzgeber, hier tue ich es aber mal. Es geht nämlich m.E. nicht an, dass im Strafverfahren – u.a. im Hinblick auf die Vorgaben der EU – immer weitere Rechte des Beschuldigten geschaffen und weitere Termine eingeführt werden, sich aber offenbar niemand im BMJV Gedanken darüber macht, wie eigentlich die Teilnahme von Rechtsanwälten an solchen Terminen honoriert werden: Aufgrund der immer mehr anzutreffend Knauserigkeit und Sparsamkeit der Gerichte nämlich im Zweifel gar nicht bzw. wird der (Pflicht)Verteidiger mit dem nicht zielführenden Hinweis auf die Möglichkeit eines Pauschgebühr abgespeist. Das führt letztlich in vielen Fällen zu einer Verteidigung zum „Nulltarif“. Daher wäre es m.E. mehr als an der Zeit, in dem anstehenden KostRMoG nun endlich auch diese Fälle zu lösen und dafür zu sorgen, dass auch Verteidiger für ihre Tätigkeit angemessen entlohnt werden. Der „Gemeinsame Katalog von DAV und BRAK“ (vgl. RVGreport 2018, 202 ff.) bringt dazu allerdings leider nicht viel Neues. Er ist in meinen Augen viel zu „zivilverfahrenslastig“. Die Verteidiger und/oder das Strafverfahren kommen mal wieder zu kurz.”

Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung, oder: Ohne Beschluss geht das nicht

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Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Und als letzte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 21.08.2018 – 2 StR 172/18. Der in einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes ergangene Beschluss enthält nichts bahnbrechend Neues, ruft aber noch einmal eine Frage in Zusammenhnag mit § 247 StPO – Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung – ins Gedächtnis.

In der Hauptverhandlung war auf Antrag des Nebenklagevertreters die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin, dem Opfer der verfahrensgegenständlichen Taten, ausgeschlossen worden. Ein Beschluss über den Ausschluss des Angeklagten wurde nicht gefasst. Die Vernehmung der Zeugin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten statt. Dazu der BGH: Das geht nicht.

“2. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es keiner Ausführungen zum Aussageinhalt der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Vernehmung der Nebenklägerin. Bei der Vernehmung der Opferzeugin als zentraler Belastungszeugin bedarf es – selbst im Falle ihrer wiederholten Vernehmung – keiner Darlegungen zum wesentlichen Aussageinhalt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532, 533; Beschluss vom 23. September 2014 – 4 StR 302/14, NStZ 2015, 104, 105). Anderes folgt auch nicht – wie der Generalbundesanwalt meint – aus dem Umstand, dass das Landgericht das Verfahren im Hinblick auf die dem Angeklagten zur Last liegenden Tatvorwürfe des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Bruders der Zeugin gemäß 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet auch in einer solchen Verfahrenskonstellation nicht zu der (pauschalen) Mitteilung, dass die in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Vernehmung der Zeugin jedenfalls auch auf die später zur Verurteilung gelangten Fälle bezogen war (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 2 StR 543/17). Im Übrigen entnimmt der Senat den Urteilsgründen, die er auf die zulässig erhobene Sachrüge zur Kenntnis zu nehmen hat, dass die Zeugin am 6. Dezember 2017 zu den sie selbst betreffenden Tatvorwürfen vernommen worden ist.

b) 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtete auch nicht zu dem Vortrag, dass der Angeklagte den Sitzungssaal freiwillig verlassen und zuvor keine Einwände gegen den von dem Nebenklagevertreter gestellten Ausschließungsantrag erhoben hat.

Der zeitweise Ausschluss des Angeklagten ist stets durch förmlichen Gerichtsbeschluss anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist. Ein Beschluss wird nicht entbehrlich, weil alle Verfahrensbeteiligten mit der Anordnung einverstanden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45). Soweit der 5. Strafsenat in seinem Urteil vom 30. August 2000 (5 StR 268/00, NStZ 2001, 48) erwogen hat, dass anderes in Fallkonstellationen gelten könnte, in denen die Voraussetzungen für eine Abwesenheitsverhandlung zweifelsfrei vorliegen und das Einverständnis des Angeklagten auf der Anerkennung dieser verfahrensrechtlich eindeutigen Situation beruht, könnte der Senat dem nicht folgen. Der Angeklagte kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzurücken kein Anlass besteht, nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGH, Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45 – für den Fall einer fehlenden Begründung des Beschlusses; siehe auch Urteil vom 30. August 2000 – 5 StR 268/00, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 22; Senat, Urteil vom 6. Dezember 1967 – 2 StR 616/67, BGHSt 22, 18, 20).

c) Anhaltspunkte für ein gezielt auf die vorsorgliche Schaffung eines Revisionsgrundes gerichtetes und dem Angeklagten zurechenbares Verhalten, das Anlass geben könnte, die Zulässigkeit der Rüge unter dem Gesichtspunkt arglistigen Verhaltens in Zweifel zu ziehen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Der absolute Revisionsgrund liegt vor. Der Beschwerdeführer war entgegen § 247 StPO von der Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen, ohne dass dies durch einen durch den gesamten Spruchkörper gefassten und mit Gründen versehenen Beschluss angeordnet worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 194/14, NStZ 2015, 103, 104; LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 247 Rn. 28). Ein begründeter Beschluss ist auch dann erforderlich, wenn alle Beteiligten einschließlich des Angeklagten mit seiner Entfernung einverstanden sind; die notwendige Anwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1993 – 4 StR 35/91, NStZ 1991, 296; Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45).”

Wie gesagt: Nichts bahnbrechend Neues, aber interessant wegen der Ausführungen des BGH zu § 344 Abs. 2 StPO.

OWi I: Rechtsprechungsübericht zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Neues zur „Kakophonie der Judikative“.

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Heute dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit Entscheidungen zur Akteneinsicht. Zuletzt hatte ich darüber im August berichtet (vgl. OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter). Ich hatte in dem Bitrag ja schon darauf hingewiesen, dass ich wegen der Fülle des Materials nicht mehr alle Entscheidungen verlinke, sondern zum Teil auf dejure und den Verkehrrechtsblog des Kollegen Gratz verweise, der nach wie vor ja unermüdlich Entscheidungen online stellt und über sie berichtet.

M.E. bewegt sich bei dem Thema derzeit nichts. Es stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber und jedes wartet darauf, dass es den Lorbeerkranz des Siegers umgehängt bekommt. Wem er gebührt, ist m.E. klar.  Das ist das Lager derjenigen, die wie der VerfGH Saarland (vgl. den VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018) von einerm weiten “Einsichtsrecht” ausgeht und die sich Cierniak und Niehaus in ihren Beiträgen angeschlossen haben. Aber: Wie man – aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreiesen hört 🙂 – ist die Lösung oder das Ende des Streits vielleicht ja gar nicht mehr so weit. Denn beim BVerfG sind zwei Verfassungsbeschwerden zu diesen Fragen anhängig, beide gegen Entscheidungen des OLG Bamberg, darunter auch der unfassbare OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – – 3 Ss OWi 626/18. Und das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden zugestellt. Das ist doch schon mal was. Man darfa also gespannt sein.

Bis dahin geht es weiter im Kampf und dazu dann folgende Rechtsprechungsübersicht von Entscheidungen der letzten Zeit:

KG, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18 Rügt die Rechtsbeschwerde, keinen Zugang zur sog. Lebensakte und den Rohmessdaten erhalten zu haben, so hat sie substantiiert vorzutragen, was sich aus diesen Unterlagen ergeben hätte. Sollte ihr dies nicht möglich sein, weil ihr die Unterlagen noch immer nicht vorliegen, so muss sich der Rechtsbeschwerdeführer bis zum Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen substantiiert dartun.
LG Baden-Baden, Beschl. v. 14.09.2018 – 2 Qs 104/18 Im Hinblick auf die Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (zfs 2018, 471), wonach es Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK) ist, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötige, zur Verfügung zu stellen sind, sind dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger die Daten derjenigen Messreihe, die den begangenen Verkehrsverstoß des Betroffenen erfasst hat, – ggf. in anonymisierter Form –zugänglich zu machen.
LG Weiden, Beschl. v. 05.09.2018 – 2 Qs 50/18 OWi Eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines nach Abgabe des Bußgeldverfahrens an das AG beim AG erneut gestellten Antrags auf „Einsicht“ in Messdaten ist wegen § 305 Satz 1 StPO unzulässig . Die gegenteilige, vom LG Trier (NZV 2017, 589 ) und in der Literatur vertretene Auffassung überzeugt nicht.
AG Freising, Beschl. v. 05.07. 2018 – 3 OWi 30/18 Der Verteidiger hat im Bußgeldverfahren keinen Anspruch auf Einsicht in Messunterlagen, wie z.B., das Originalbeweisfoto und das Originalvideo, das Messprotokoll, den Eichschein des Messgerätes und die Lebensakte des Messgerätes. Diese gehören nämlich regelmäßig nicht zum Inhalt der dem Gericht vorliegenden Akten.
AG Köln, Beschl. v. 22.10.2018 – 814 OWi 210/18 (b) Dem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen Einsicht in die komplette Messreihe vorn Tattag (inkl. Token) zu gewähren.
AG Landsberg, Beschl. v. 23.07.2018 – 3 OWi 92/18 Der Betroffene hat im Bußgeldverfahren keinen Anspruch auf Herausgabe der Messdatei als digitale Kopie, der Lebensakte des Messgerätes, der Konformitätserklärung und Konformitätsbescheinigung und des Schulungsnachweises des verantwortlichen Messbeamten sowie Name und Schulungsbescheinigung des Auswertebeamten.
AG Mayen, Beschl. v. 31.07.2018 – 3 OWi 171/18 Bei Geschwindigkeitsmessungen ist dem Verteidiger auch Einsicht in alle Rohmessdaten der Messreihe, die Statistikdatei und – bei ESO 3.0 – den Public Key des Messgeräts zu gewähren. Die angeforderten Daten müssen weder Aktenbestandteil sein noch stehen die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens der Einsicht entgegen.
AG Mayen, Beschl. v. 03.07.2018 – 3 OWi 160/18 Beim Abstandsmessverfahren VKS 3.0 hat der Verteidiger ein Einsichtsrecht in die Videoaufzeichnung vom Tattag, in das Referenzvideo mit Protokoll betreffend die Einrichtung der Messstelle sowie Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme des Messgeräts und, soweit vorhanden, in Lebensakte, Geräteakte, Gerätebegleitkarte etc.
AG München, Beschl. v. 16.08.2018 – 953 OWi 155/18 Es besteht kein „erweitertes“ Akteneinsichtsrecht des Verteidigers. Die Rechtsprechung des VerfG Saarland hat darauf keinen Einfluss.
AG Neuburg an der Donau, Beschl. v. 01.08.2018 – 3 OWi 75/18 Der Verteidiger des Betroffenen ist Akteneinsicht in die Messdatei als digitale Kopie im eso-Format, die gesamte Messreihe in elektronischer Form, die Lebensakte des Gerätes, die Schulungsbescheinigung des Auswertebeamten, die Schulungsbescheinigung des Messbeamten, den Beschilderungsplan und die Konformitätsbescheinigung und Konformitätserklärung zu gewähren.
AG Remscheid, Beschl. v. 06.11.2018 – 63 OWi 270/18 (b) Dem Verteidiger sind die angeforderten Rohmessdaten (Messfilm) zur Verfügung zu stellen.
AG Saarburg, Beschl. v. 22.08.2018 – 8 OWi 8112 Js 16807/18 Endgültige Rückgabe des Verfahrens an die Verwaltungsbehörde wegen nicht ausreichender Ermittlungen.
AG Siegen, Beschl. v. 09.08.2018 – 430 OWi 1508/18 Das Gericht schließt sich der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach die Herausgabe der kompletten Messrohdaten einer Messserie über die die Messung des betroffenen Kraftfahrer hinausgehenden Messrohdaten nicht erforderlich ist. Der VerfG Saarland (vgl. VA 18, 122) hat zudem übersehen, dass das von ihm angenommene Einsichtsrecht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG führt, da sich eine umfassende Begutachtung einer kompletten Messserie durch einen Sachverständigen immer nur ein Teil der Bevölkerung leisten kann.
AG Weiden i. d. OPf., Beschl. v. 10.7.2018 – 311 OWi 287/18 Die Nichtüberlassung von Messdaten, Messreihe oder Lebensakte (Gerätestammkarte) verstößt weder gegen das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren noch auf rechtliches Gehör. Es ist ausreichend, die Ermittlungsakte einzusehen, amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen und in der Hauptverhandlung Zeugen und Sachverständige zu befragen.
AG Wittlich, Beschl. v. 06.08.2018 – 36b OWi 8011 Js 21030/18 jug  Der Verteidiger hat im Bußgeldverfahren Anspruch auf Einsicht in die gesamten digitalen Falldaten im gerätespezifischen Format für die gesamte Messreihe inklusive der Rohmessdaten, in die Statistikdatei/Gase-List der Messreihe, in alle Wartungs- und Instandsetzungsnachweise für das gegenständliche Messgerät seit der letzten Eichung vor der gegenständlichen Messung, die Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme sowie in die Baumusterprüfbescheinigung und Konformitätsbewertung des Messgeräts
AG Wuppertal, Beschl. v. 20.09.2018 – 26 OWi 154/18 [b] Dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger ist Einsicht in die gesamte Messreihe zu gewähren. Ist der Betroffene nämlich dazu gezwungen, relevante Tatsachen, die die Ordnungsgemäßheit eines im standardisierten Messverfahren gewonnenen Ergebnisses erschüttern können, selbst vorzutragen, muss er in die Lage versetzt werden, an derartige Informationen zu gelangen.

Ist wieder eine ganze Menge, was da so in den letzten Monaten angefallen ist. Über den ein oder anderen “bemerkenswerten” Beschluss hatte ich ja auch schon berichtet, so z.,B. über den AG München, Beschl. v. 16.08.2018 – 953 OWi 155/18 (siehe hier: Erweiterte (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren, oder: Wenn das AG München dem VerfG Saarland die Leviten liest).

Bemerkenswert – auch der LG Weiden i.OPf, Beschl. v. 12.09.2018 – 2 Qs 50/18 -, in dem das LG die Beschwerdemöglichkeit gegen eine die Einsicht ablehnende Einsicht des Gerichts verneint. Darin findet man dann abschließend folgende Passage:

“Mit der Entscheidung ist auch keine besondere – durch Urteil oder Urteilsanfechtung nicht behebbare – Beeinträchtigung verbunden (a.A. LG Trier, Beschluss vom 14. September 2017- 1 Qs 46/17 -, juris). Es trifft zwar zu, dass in der obergerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Streit darüber besteht, ob der Betroffene in einem Bußgeldverfahren einen Anspruch auf die auch hier begehrten Unterlagen unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs oder der fairen Verfahrensgestaltung hat (OLG Bamberg Beschluss vom 13.6.2018- 3 Ss OWi 626/18 -, BeckRS 2018, 11527; VerfGH Saarland, Beschluss vom 27.4.2018 – Lv 1/18 -, NZV 2018, 275). Dies ändert aber nichts daran, dass die Frage, ob ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf faire Verfahrensgestaltung vorliegt, grundsätzlich der Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren zugänglich ist (vgl. OLG Bamberg, aaO). Damit ist mit der Entscheidung aber keine nicht durch Urteilsanfechtung behebbare Beeinträchtigung verbunden. Besteht nämlich kein Anspruch, liegt auch keine Beeinträchtigung vor. Besteht ein Anspruch, ist dies der Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren zugänglich. Es besteht deshalb keine Veranlassung, dass die Landgerichte als weitere Entscheidungsebene in der „Kakophonie der Judikative“ zum strittigen Anspruch „mitmischen“ (a.A. Krenberger, NZV 2017, 589).”

Ja richtig gelesen: „Kakophonie der Judikative“ zum strittigen Anspruch „mitmischen“. Egal, dass es sich bei dieser Wortwahl um ein Zitat aus einer Anmerkung des Kollegen Krenberger zum LG Trier, Beschl. v. 14.09.2017 1 Qs 46/17,es ist schon “bemerkeneswert, dass ein LG meint, diese Formulierung in seinen Beschluss übernehmen zu müssen. Das zeitg,w as man im Grunde genommen von den Rechten des Betroffenen  hält. Nämlich nichts. Hoffen wir, dass Karlsruhe das anders sieht.

Und <<Werbemodus ein >> und <<Werbemodus<< aus. Hier geht es zur Bestellseite. Das abgebildete Verkehrsrechtspaket gibt es derzeit mit einem erheblichen Preisnachlass für sog. Mängelexemplare (vgl. auch Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür).

OWi II: Verteidiger als “unbedarfter Zuschauer” (?) bei “Taschenspielertricks”, oder: OLG Koblenz, muss das sein?

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Die zweite Entscheidung, auf die ich heute hinweisen möchte, stammt vom OLG Koblenz. Es handelt sich um den OLG Koblenz, Beschl. v. 19.11.2018 – 1 OWi 6 SsBs 155/18. Der steht so ganz “unschuldig” auf der Seite “Landesrecht Rheinland-Pfalz” mit dem Leitsatz:

“Die Zuverlässigkeit des Messgerätes ES 3.0 wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es möglich ist, durch Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks eine Messung auszulösen.”

Wenn man den Beschluss dann aber insgesamt liest, merkt man: Der hat es in sich. Nicht wegen der entschiedenen (Fach)Frage, sondern wegen der Art und Weise, wie das OLG formuliert:

“I.

Ungeachtet der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Verwerfungsantrag vom 30. Oktober 2018 zutreffend dargestellten und auf handwerkliche Fehler des Verteidigers zurückzuführenden Unzulässigkeit der Verfahrensrügen ist anzumerken:

1. Die beanstandete Verlesung hat ihre Rechtsgrundlage in dem gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO (in der seit dem Jahre 2004 geltenden Fassung) und nicht in dem inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen § 77a Abs. 2 OWiG, so dass eine Zustimmung der anwesenden Verfahrensbeteiligten nicht notwendig war.

2. Auf einem digitalen Datenträger gespeicherte Informationen sind bekanntlich der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich. Erforderlich ist vielmehr eine Sichtbarmachung etwa durch Erstellung eines Text- und/oder Bilddokuments, das auf einem Bildschirm betrachtet oder ausgedruckt werden kann. Der Tatrichter kann und darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein von einer staatlichen Stelle hergestelltes und in den Akten befindliches Beweisfoto keine von der Originaldatei abweichenden beweiserheblichen Informationen enthält und auf dieser Grundlage entscheiden. Er muss sich insbesondere nicht anlasslos mit der Frage befassen, ob irgendjemand zwischen der Öffnung der Messdatei (Stichwort: Schlüsselsymbol) und der Herstellung des JPEG-Ausdrucks manipuliert haben könnte. Im Übrigen wurde, was der Verteidiger zu erwähnen „vergaß“, in der Hauptverhandlung ein Datenträger abgespielt, auf der auch das mit dem Auswerteprogramm esoDigitales II erstellte Bild mit Schlüsselsymbol zu sehen ist.

3. Es steht dem Verteidiger selbstverständlich frei der Meinung zu sein, das Messgerät ES 3.0 sei völlig ungeeignet und hätte deshalb nicht zugelassen dürfen. Tatsache ist allerdings, dass das Messgerät als solches zugelassen ist und das bei der beanstandeten Messung eingesetzte Gerät auch geeicht war.

Es mag sein, dass man unbedarften Zuschauern Unzuverlässigkeit vorgaukeln kann, indem man eine Messung durch die Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks auslöst. Ein solches Szenarium hat allerdings nichts mit einer realen Verkehrsbedingung im Messalltag zu tun. Zudem greift in einem solchen Fall eine der systemimmanenten Absicherungen: Auf dem Beweisfoto ist dann nämlich kein Fahrzeug zu sehen, dem die Messung zugeordnet werden könnte. Mit einem sich bewegenden Fahrzeug funktioniert dieser demonstrative Taschenspielertrick ohnehin nicht, weil der Rechner mit den einander widersprechenden Informationen, die von den Sensoren kommen, nichts anfangen kann und deshalb die Messung annulliert.

Im Übrigen ist die Erkenntnis, dass man ES 3.0 mit der Projektion eines sich bewegenden Lichtflecks auf eine im „Blickfeld“ der Sensoren befindliche Fläche zu einer Messung bewegen kann, keine sensationelle Neuigkeit. Vielmehr macht man sich diese „Unzuverlässigkeit“ schon seit langem (durch den Einsatz eines Lauflichtsimulators) bei der Eichung zunutze.

4. Es trifft nicht zu, dass die Prüfungen durch die PTB unter „Idealbedingungen“ erfolgten. Richtig ist, dass sich die sog. Referenzstrecken, an denen die Vergleichsmessungen in sehr großer Zahl durchgeführt werden, auf öffentlichen Straßen befinden. Die Prüfungen erfolgen also unter den alltäglichen Bedingungen des Straßenverkehrs.”

Ich habe mich nach Lektüre des Beschlusses gefragt: Muss die Polemik des OLG eigentlich sein bzw. was erreicht man damit bzw. was will man erreichen? Ich meine, Formulierungen wie

  • “auf handwerkliche Fehler des Verteidigers zurückzuführenden Unzulässigkeit der Verfahrensrügen”
  • (in der seit dem Jahre 2004 geltenden Fassung) und nicht in dem inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen § 77a Abs. 2 OWiG”
  • “sind bekanntlich der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich”
  • was der Verteidiger zu erwähnen „vergaß“,
  • “Es steht dem Verteidiger selbstverständlich frei, der Meinung zu sein….”
  • “Es mag sein, dass man unbedarften Zuschauern Unzuverlässigkeit vorgaukeln kann.”
  • Mit einem sich bewegenden Fahrzeug funktioniert dieser demonstrative Taschenspielertrick ohnehin nicht
  • “Im Übrigen ist die Erkenntnis, dass ….., keine sensationelle Neuigkeit.”

sind nicht nur unnötig, sondern auch eines OLG unwürdig. Da hat sich m.E. mal wieder ein OLG-Einzelrichter “ausgetobt” und wollte dem Verteidiger – “unbedarfter Zuschauer”, der “handwerkliche Fehler” macht – zeigen, wie dumm dieser ist und wie schlau doch der OLG-Richter, der alles weiß, vor allem alles besser. Denn wie sonst soll man die Formulierungen: “handwerkliche Fehler”, “bekanntlich”, “unbedarften Zuschauern vorgauckeln” verstehen/deuten? Und was hat man damit erreicht, wenn man sein Mütchen gekühlt hat? Nichts, außer, dass man sagen kann: Dem habe ich es aber gegeben. Nun ja, wer es braucht, der mag Beschlussgründe für solche Spielchen missbrauchen. Ich finde es jedenfalls – siehe oben: Für ein OLG unwürdig.

Übrigens: Dass der Amtsrichter auch ein wenig “unbedarft§ ist/war: Obwohl ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls und der schriftlichen Urteilsgründe der Betroffene einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung für schuldig befunden wurd, steht im Urteilstenor dann “fahrlässig”, übersieht man bzw. bügelt man mit einem “beruht offensichtlich auf einem Versehen” glatt.

Und: Es ist nicht das erste Mal, dass das OLG Koblenz – in meinen Augen – über das Ziel weit hinausschießt. Ich erinnere an den OLG Koblenz, Beschl. v. 22.03.2017 – 1 OWi 4 SsRs 21/17 (dazu Fake-News vom „übergeordneten“ OLG Koblenz?, oder: „unprofessionelle Zeit- und Geldverschwendung“). Da hatte sich der entscheidende Einzelrichter m.E. auch im “Ton vergriffen”. Ob das Usus ist in Koblenz, kann ich nicht sagen. Es fällt aber jedenfalls auf.

Happy Birthday: 10 Jahre “Burhoff-Online-Blog, eine lange Zeit, oder auch: Danke schön

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Wer mich und meine Arbeitsweise ein wenig kennt, der wird es kaum glauben bzw. er wird es sich nicht vorgestellt haben können, dass ich einen Termin vergesse oder übersehe. Aber nun ist es passiert (gibt mir zu denken 🙂 ). Nichts Dramatisches, aber immerhin:

Ich habe nämlich einen runden Jahrestag übersehen. Und zwar die “Geburtststunde” des “BOB”. In dem ist nämlich am 01.12.2008 – also vor jetzt mehr als 10 Jahren – der erste Beitrag online gegangen. Damals lief das noch unter “Strafrechts-Blog”, die Namensänderung auf “Burhoff-Online-Blog” habe ich dann 2014 vollzogen, als ich zum ZAP-Verlag gewechselt bin und seitdem den Blog in “Eigenregi”  betreibe.

10 Jahre mit dem Blog online – das ist eine lange Zeit. In der sind bislang 9.124 Beiträge online gegangen, ich zähle 15.711 Kommentare – gute, weniger gute und manchmal auch böse, die Spam-Kommentare zähle ich nicht. Alles in allem m.E. recht beachtlich für einen “Alleinblogger”, die aufgewendete Zeit rechne ich lieber mal nicht :-). Und laut Statistik hatte der Blog insgesamt mehr als 15,5 Mio Besucher und mehr als 2,3 Mio Aufrufe.

Mein erster Beitrag war einer in der Rubrik “Gesetzesvorhaben”, nämlich Weitere Stärkung des Opferschutzes im Strafverfahren, und zwar zum 2. Opferrechtsreformgesetz. Davon spricht heute im Grunde schon keiner mehr. Ich habe dann mal ein wenig weiter im Archiv gestöbert. Ich habe dann nicht gezählt, wie viele Sonntagswitze ich gebracht habe oder wie viele Wochenspiegel. Ist aber schon interessant, über was ich alles berichtet habe. Ich erinnere nur an die Diskussion über die Einsicht in die Bedienungsanleitung von Messgeräten, die u.a. hier ihren Ausgang, zumindest aber ihre Unterstützung durch viele Entscheidungen, über die ich berichtet habe, genommen hat.

Da der 01.12. als Jahrestag ja noch nicht so lange zurückliegt, erinnere ich dann heute doch noch daran. Und die Erinnerung verbinde ich mit einem Dank an alle, die mich in den letzten 10 Jahren unterstützt haben. Das sind die Mitarbeiter der Verlage, die in der ersten Zeit geholfen haben, und dann mein “Blogwart” Mirko Laudon – er möge mir heute den Ausdruck verzeihen – , der sich neben seinem eigenen Blog “Strafakte” und seiner anwaltlichen Tätigkeit als Strafverteidiger immer wieder geduldig die Zeit nimmt, die Technik hier auf dem Stand zu halten. Ein Dankeschön sende ich aber auch an all die Kolleginnen und Kollegen, die mir in den vergangenen 10 Jahre immer wieder Entscheidungen geschickt haben, über die ich dann berichten konnte. Die stehen alle auf meiner Homepage online – inzwischen stehen dort mehr als 4.800 Entscheidungen.

Was kommt? Nun, man wird es sehen. Stand heute habe ich nicht vor, mit dem Bloggen aufzuhören. Denn auch ich ziehe daraus Gewinn, weil ich damit up-to-date bleibe, was meinen Büchern und damit wieder deren Nutzern zu Gute kommt. Ich mache also weiter. Ich hoffe, noch lange. Und versprochen ist: Den 20 Jahrestag werde ich nicht vergessen. 🙂

“I proudly present!” –“Burhoff Strafrechtspaket, Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung” jetzt vollständig

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Noch rechtzeitig vor Weihnachten kann ich melden: ” I proudly present”. Und das ist dann der endgültige Beweis.: Das Jahr 2018 geht nun wirklich dem Ende entgegen. Denn nun ist, nachdem auch “Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung. 9. Auflage , 2019” erschienen ist, alles am Markt, was 2018 am Markt sein sollte.

Ich habe die Belegexemplare zur Hauptverhandlung gerade ausgepackt und habe mich wie immer auch über diese Neuerscheinung gefreut. Auch hier haben wir, weil der Umfang stark zugenommen hat, auf ein anderes Format umstellen müssen, auch der Satz hat sich verändert. Dadurch ist auch dieses Buch natürlich “dünner” geworden als die Vorauflage. Das wieder nur als Hinweis an diejenigen, die meinen in der 9. Auflage stehe weniger Inhalt als in der 8. Auflage. Nein. Das ist nicht der Fall.

Und die Freude über das Erscheinen des Werks ist dieses Mal auch nicht getrübt. Denn mein Vorname ist richtig geschrieben. Danke Verlag 🙂 . Das musste jetzt sein. Und die Scharte beim Ermittlungsverfahren ist, wie man sieht, dann auch gleich ausgewetzt, wenigstens fast 🙂 .

Bei der Gelegenheit dann Dank an alle Mitarbeiter im Verlag, die sich in 2018 für meine Werke “den A…. aufgerissen” haben, damit sie noch rechtzeitig in 2018 erscheinen. Ich weiß, die Zusammenarbeit ist mit mir ungeduldigem Autor nicht immer einfach, aber am Ende wird alles gut. Oder Helmut Kohl hätte gesagt: Entscheidend ist, was hinten raus kommt.

Und das sind – wie immer . gute Produkte, die man natürlich auch auf meiner Homepage bestellen kann, und zwar dann hier. Da geht es dann zu den Paketen “EV und HV” bzw. dem Komplettpaket “EV, HV, Rechtsmittel und Nachsorge”. Die werden übrigens, wenn sie jetzt bestellt werden, ausgeliefert, wenn die “Nachsorge” wieder lieferbar ist. Denn wir sind da ausverkauft (gewesen). Das dauert dann ein wenig….


Zum 1. Weihnachtstag, oder: Wenn der Adventskranz brennt

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entnommen wikimedia.org
Urheber Marianne Schneegans
GNU-Lizenz für freie Dokumentation

Alle Jahre wieder stellt sich die Frage: Was bringt man am 1. Weihnachtstag. Entscheidungen an sich nicht, denn die liest im Zweifel eh keiner, allerdings? Eine gibt es, die ich auch schon häufiger gebracht habe und die immer wieder schön ist. daher bringe ich sie dann heute auch noch einmal, und das OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.1999 – 4 U 182/98. 

In der Entscheidung geht es um die Folgen eines Adventskranzbrandes am 1. Weihnachtsfeiertag, an sich gehört sie damit in den “Kessel Buntes”, sie passt aber auch heute:

…..Am 1. Weihnachtsfeiertag 1997 entzündete der Kläger nach dem Aufstehen zunächst im Wohnzimmer die Kerzen des aus echtem Tannengrün gebundenen Adventskranzes, der auf einer Glasplatte auf dem mit einer Kunststofftischdecke gedeckten Wohnzimmertisch stand. Anschließend bereitete er in der Küche den Frühstückskaffee zu und begab sich nach einem Blick auf den Adventskranz wieder in das Schlafzimmer, um seine Lebensgefährtin zu wecken, von der er danach aufgehalten wurde. Er verließ das Schlafzimmer erst einige Zeit später. Dabei bemerkte er Brandgeruch und Rauchschwaden im ganzen Haus, die durch den Adventskranz im Wohnzimmer verursacht wurden, der sich zwischenzeitlich entzündet hatte. Die alarmierte Feuerwehr mußte nicht mehr eingreifen, da es dem Kläger bis zu ihrem Eintreffen gelang, den Brand selbst zu löschen.

In seiner „Brandschaden-Anzeige“ vom 2. Januar 1998 und in der „Verhandlungs-Schrift“ vom 6. Januar 1998 gab der Kläger an, um 10. 00 Uhr aufgestanden zu sein. In seinem Anspruchsschreiben vom 30. Januar 1998 berichtigte er diese Angabe auf 8. 00 Uhr. Den Zeitpunkt des Schadenseintritts und der Alarmierung der Feuerwehr gab er – damit übereinstimmend – im Prozeß zunächst mit ca. 9. 00 Uhr an. In seinem Schriftsatz vom 21. Juli 1998 trug er hiervon abweichend vor, die Nachfrage bei der Feuerwehr habe ergeben, daß die ursprünglichen Angaben zum Schadenszeitpunkt mit ca. 10. 00 Uhr zutreffend gewesen seien. Es verbleibe dabei, daß der ganze Vorgang vom Anzünden der Kerzen bis zum Anruf bei der Feuerwehr ca. 1 Stunde gedauert habe…..“

Ich habe ja schon einige Male geschrieben: Schön vorsichtig formuliert hat das OLG: „“… und begab sich nach einem Blick auf den Adventskranz wieder in das Schlafzimmer, um seine Lebensgefährtin zu wecken, von der er danach aufgehalten wurde“. Das lässt, manche Deutungen zu 🙂 🙂 🙂 .

In dem Sinne: Allen noch einen frohen 1. Weihnachtstag.

Am 2. Weihnachtstag dann zunächst der “zweite”“beA-Song”….

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Heute am 2. Weihnachtstag ist auch noch nicht so richtig Zeit zum Arbeiten. Ist noch zu früh. Oder doch nicht? Jedenfalls gibt es hier heute noch keine Entscheidungen sondern nur nachher die Lösung des RVg-Rätsel vom 21.12.2018.

Vorher dann aber noch etwas anderes.

Wir erinnern uns: Das Jahr 2018 war das “beA-Jahr”. Erst war es da, dann wieder weg, dann wieder da. Und das “Wieder da” hat der Kollege Dr. Dominik Herzog zum Anlass genommen, seinen zweiten beA-Song zu veröffentlichen. Denn gibt es dann heute hier. Viel Spaß.

“Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren”, oder: Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?

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Die 4. KW. eröffne ich dann nicht mit einer Entscheidung, sondern mit einer (allgemeinen) Frage nämlich: “Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?” Ja, das hatte ich schon mal ähnlich gefragt, und zwar im Mai 2017 mit der Frage: Widerruf der “Hoeneßbewährung”?, oder: Wie ahnungslos darf man als Justizminister eigentlich sein?“.

Damals ging es um die Bewährung von Uli Hoeneß und Äußerungen des bayerischen Justizministers, heute geht es um die/eine “Justizreform”, zu der sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus gestern in der geäußert hat (vgl. hier in der “SZ”: Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren).

Da heißt es u.a.:

“Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat eine Reform der Strafprozessordnung gefordert, um schnellere Strafverfahren zu erreichen. “Das Vertrauen der Bürger in den Staat hängt davon ab, ob das Recht auch durchgesetzt wird”, sagte er Christdemokrat der Bild am Sonntag.

“Es fehlen Staatsanwälte, Richter und Justizpersonal. Die Dauer der Prozesse steigt weiter. Immer mehr Verfahren werden eingestellt. Nötig ist eine Reform der Strafprozessordnung zur Verfahrensbeschleunigung.” Zwar hätten Angeklagte effektive Rechte zur Verteidigung, aber die Öffentlichkeit und die Opfer erwarteten, dass die Verteidigungsrechte nicht zur Prozessverschleppung genutzt werden könnten.

Konkret verlangt Brinkhaus, dass Befangenheitsanträge gegen Richter nicht mehr zu einer Verzögerung von Prozessen führen: “Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.”

In diesem Zusammenhang übte Brinkhaus auch Kritik an der Regierungspolitik der vergangenen Jahre: Wie gut der Föderalismus funktioniere, werde sich darin zeigen, ob Bund und Länder “die Fehlentwicklungen in der Justiz beseitigen” könnten. Hier habe die Politik “lange nicht richtig hingeschaut”. Der Pakt für den Rechtsstaat zwischen Bund und Ländern müsse rasch kommen, forderte der CDU-Politiker. “Die Ur-Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger vor Gewalt und Unrecht zu schützen. Dazu gehört eine starke Justiz.””

Was mich u.a. stört/erstaunt/ärgert ist der Satz: “Konkret verlangt Brinkhaus, dass Befangenheitsanträge gegen Richter nicht mehr zu einer Verzögerung von Prozessen führen: “Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.”, ja richtig gelesen: “Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.” Da reibt man sich dann verwundert die Augen, sucht eine StPO, um sich zu vergewissern, und ist dann beruhigt, wenn man dort immer noch in § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO liest:

“Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung (§§ 26a, 27) eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern, so kann diese so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist; über die Ablehnung ist spätestens bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages und stets vor Beginn der Schlußvorträge zu entscheiden.”

Das hatte man also richtig in Erinnerung, denn das steht schon ziemlich lange in der StPO (vgl. dazu auch hier: Unterbrechung der Verhandlung nach Befangenheitsantrag vom Kollegen in der Strafakte). Da fragt man sich dann, wo eigentlich der CDU-Fraktionsvorsitzende nachschaut, wenn er nach einer “Reform der Strafprozessordnung” ruft und den Grund für die zum Teil lange Verfahrensdauer dann gleich bei den Befangenheitsanträgen (offenbar der Verteidiger [?]) ausmacht. Oder die Frage: Was machen seine Referenten? Wo schauen die nach? Offenbar auch nicht in der geltenden StPO. Und/oder schaut man, wenn man mit “Bild am Sonntag” spricht, erst recht nicht nach?

“Schön” auch der Satz “Zwar hätten Angeklagte effektive Rechte zur Verteidigung, aber die Öffentlichkeit und die Opfer erwarteten, dass die Verteidigungsrechte nicht zur Prozessverschleppung genutzt werden könnten.” Wie soll das bitte gehen? Verteidigungsrechte ja, aber nutzen/anwenden darf/soll der Angeklagte sie nicht? Also steht alles nur auf dem Papier?

Abschließende Frage: Wer schickt der CDU-Fraktion in Berlin einen aktuellen Gesetzestext der StPO? Dort scheint man ihn nötig zu haben. Vielleicht liest man den dort. Der “Bild am Sonntag” würde ich keine schicken, dort wird man eh nicht drin lesen.

Bundesländer zur Erweiterung der Pflichtverteidigung: So nicht, oder: Der Verteidiger als Feigenblatt?

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Auch im zweiten Posting des heutigen Tages stelle ich keine Entscheidung vor, sondern knüpfe an meinen Beitrag: “Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren”, oder: Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?” an. Ja, knüpfe an, und ich sage/schreibe: Leider. Denn:

Zu dem Posting zur “StPO-Kenntnis des CDU-Fraktionsvorsitzenden passt ein Bericht bei “swp.de” unter der Überschrift: “Bund und Länder streiten über Pflichtverteidiger“. Da geht es um die Umsetzung der PKH-Richtlinie der EU, der bis zum 29.05.2019 umgesetzt sein muss. Dazu hatte ja das BMJV den Referentenentwurf zum “Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vorgelegt (vgl. hier: Gesetzesvorhaben II: U.a. Änderungen im Recht der Pflichtverteidigung, Verbot der Gesichtsverhüllung im Gericht, oder: Schafft die GroKo das (noch)?). Und wie nicht anders zu erwarten, kommt da Kritik von den Ländern. Das ist dann offenbar die Voraberfüllung der Forderung von Ralph Brinkhaus nach einem “Pakt für den Rechtsstaat zwischen Bund und Ländern“, allerdings nuir leider umgekehrt?

Wenn man den Bericht liest, ist man fassungslos.

Da liest man dann nämlich auch wieder: “Eine Umsetzung der Pläne würde „zu einer erheblichen Verlängerung der Dauer von Ermittlungs- und Strafverfahren führen“ und das Ziel einer Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren „konterkarieren“. Wer hat da von wem abgeschrieben, die Läner (vorab) bei Brinkhaus oder der bei ihnen?

Und da werden Mehrausgaben bei den Kosten für die Pflichtverteidigung von 2,6 Mio oder auch 4 Mio angeführt gegen die geplante – von der EU vorgegebene – Neuregelung. Hat man diese Mehrausgaben (?) eigentlich mal ins Verhältnis gesetzt zu den Gesamtausgaben eines Landeshaushaltes. Wenn ja, würde man wahrscheinlich über die Prozentzahl erstaunt sein.

Aber das allein macht noch nicht fassungslos. Das kommt erst mit der “Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU)” zugeschriebenen Äußerung:

“Er [Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU)] fürchtet zudem, dass die Zahl der Geständnisse in frühen Ermittlungsverfahren stark zurückgehen werde. Erfahrungen aus der Praxis zeigten, dass Täter bei einer vorläufigen Festnahme nach frischer Tat gerade auch bei schwersten Straftaten oftmals zu einem umfassenden Geständnis bereit seien. Sofort bestellte Pflichtverteidiger würden aber vor Akteneinsicht „in aller Regel von einer Aussage abraten“, heißt es in der Stellungnahme.”

Das – lassen wir die Äußerungen eines Stuttgarter Oberstaatsanwalts zum Auslieferungsverfahren mal außen vor – muss man sich mal “auf der Zunge zergehen  lassen”: Ein (Landes)Justizminister kritisiert, dass Verteidiger/Rechtsanwälte vor Akteneinsicht (!) von Aussagen abraten und führt das dann auch noch als Argument gegen Änderungen im Recht der Pflichtverteidigerbestellung an. Das macht mich fassungslos. Denn an der Stelle sind dann schon elementare Rechte der Beschuldigten im Spiel und man fragt sich, welches Rechtsverständnis der Minister eigentlich vom Strafverfahren und den Regeln der StPO hat. Der Pflichtverteidiger soll nach Möglichkeit offenbar nur “Urteilsbegleiter” sein, das berühmte “Feigenblatt”. Getreu dem Motto: Du hast/bekommst einen Verteidiger, aber wehe, wenn der sich rührt und dem Angeklagten zur Wahrnehmung seiner Rechte – hier des Schweigerechts – rät. Das ist nichts anderes als der “Verteidiger als eigenblatt”

Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf ist im Übrigen nicht allein, wie “schön” für ihn. Die “Kollegen” pflichten ihm bei. Leider auch – so jedenfalls der Bericht – der Hamburger Justizminister, den die “Grünen” stellen. Na ja, wenn es ums Geld geht, sind sie alle gleich.

Man kann bei all dem nur hoffen, dass das BMJV hart bleibt und Frau Barley trotz Europawahl-Wahlkampf Zeit hat, sich um diese Dinge (auch) zu kümmern und es endlich zum “Durchbruch” kommt. Aber wahrscheinlich stehen solche Fragen auf der Agenda ganz unten, denn damit kann man derzeit nicht bzw. kaum punkten. Was dann daraus wird, kann man sicherlich noch nicht absehen. Das Receht auf einen Pflichtverteidiger ist das eine, die Frage, wie man damit umgeht, wenn das Recht nicht beachtet wird, das andere. Und da wird sich in der Rechtsprechung des BGH und auch des BVerfG das ein oder andere ändern müssen. Stichwort: Abwägungslehre.

Was mich ein wenig beruhigt: Auf den Bericht auf “swp.de” bin ich durch einen Richter hingewiesen worden. Der war genauso fassungslos wie ich. Wie gesagt: Das beruhigt. Aber nur ein wenig.

Pflichti III: Mittäter eines Betruges?, oder: Waffengleichheit

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Etwas versöhnlicher stimmt dann die dritte Entscheidung des Tages, bei der es sich um den LG Duisburg, Beschl. v. 15.01.2019 – 31 Qs-119 Js 173/17-96/18 – handelt. Entschieden hat das LG in ihm die Thematik: Dauerbrenner Waffengleichheit:

“Der Beschwerdeführerin war gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Zwar begründet der bloße Umstand, dass ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat, die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO für sich allein nicht (KK-StPO/Laufhütte/Willnow, 7. Auflage 2013, § 140 Rn. 22 m. w. N., beck-online; OLG Köln, Beschluss vom 20.06.2012, 2 Ws 466/12, NStZ-RR 2012, 351, beck-online). In besonderen Konstellationen kann aber aus Gründen der Waffengleichheit die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten sein, wenn der Mitangeklagte anwaltlich verteidigt wird, so etwa wenn die Angeklagten sich gegenseitig belasten bzw. die Möglichkeit gegenseitiger Belastungen besteht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 140 Rn. 31 m. w. N.; OLG Köln, Beschluss vom 20.06.2012, 2 Ws 466/12, NStZ-RR 2012, 351, beck-online; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, 1. Auflage 2014, § 140 Rn. 48, beck-online). In einem solchen Fall befände sich der unverteidigte Mitangeklagte dem anderen Mitangeklagten gegenüber in einer strukturellen Unterlegenheit, die es auszugleichen gilt.

So liegt der Fall hier. Die beiden Angeklagten werden jeweils beschuldigt, einen Betrug begangen zu haben, indem sie je zwei Verrechnungsschecks zur Gutschrift auf ihr Konto bei der Postbank eingereicht haben sollen, die sie als Begünstigte und das Konto der Finanzverwaltung Dinslaken als bezogenes Konto auswiesen. Die Angeklagten haben sich bislang nicht zur Sache eingelassen. Da beide verheiratet sind und nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen Vollmacht für das Konto des jeweils anderen hatten, besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass sie sich – sollten sie sich in der Hauptverhandlung einlassen – gegenseitig belasten könnten. Dem Angeklagten pp. ist ein Pflichtverteidiger bestellt worden. Die dadurch für die Beschwerdeführerin entstehende strukturelle Unterlegenheit war durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch für sie auszugleichen. Die Beschwerdeführerin ist zwar derzeit nicht unverteidigt; sie hat einen Wahlverteidiger. Dies steht der beantragten Bestellung ihres bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger indes nicht entgegen. Voraussetzung einer Pflichtverteidigerbestellung ist zwar, dass der Angeklagte keinen Verteidiger hat. Ausreichend ist es insofern aber, wenn der Wahlverteidiger im Moment der Bestellung sein Wahlmandat niederlegt. In dem Beiordnungsantrag durch den bisherigen        Wahlverteidiger kann die Ankündigung einer solchen Mandatsniederlegung gesehen werden (vgl. MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, a. a. 0., § 141 Rn. 4 m. w. N., beck-online).”

Wissentliche Falschprotokollierung durch den Richter, oder: Aber so was von befangen

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So, heute ist Samstag und das schaue ich ja immer ein wenig über den Tellerrand. Und da fällt mein Blick als erstes auf eine VG-Entscheidung, die ganz gut auch zu meinem Ablehnungstag” am vergangenen Dienstag gepasst hätte (vgl. hier: Ablehnung I: “Geheimabsprache” über „Aufklärungshilfe“, oder: Keine (geheime) Verständigung zu Lasten Dritter, oder Ablehnung II: Wie lange braucht beim AG Linz ein Ablehnungenantrag vom Eingang bis zum Richter?, oder: 90 Minuten sind nicht genug, sowie Ablehnung III: Ablehnungsgesuch wegen Prozessverschleppung, oder: Augen zu und durch). Es handelt sich um den VG Schleswig, Beschl. v. 29.11.2018 – 14 A 810/17, der Ablehnungsfragen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behandelt.

Zum Sachverhalt: Ergangen ist der Beschluss in einem gegen einen ablehnende Asyl-Entscheidung. In dem hatte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Das VG stellt dann folgenden Sachverhalt fest.

“Am 03.09.2018 wurde die mündliche Verhandlung durchgeführt, in deren Rahmen der Kläger informatorisch angehört wurde. Nach Stellung des Klagantrags hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte den vorliegenden Antrag auf Ausschließung des Einzelrichters wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt.

Dazu trägt der Kläger vor, der Richter habe über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden, bevor er sich ein persönliches Bild von seinem Verfolgungsschicksal gemacht habe. Zudem sei der Richter nicht seinem Antrag aus der mündlichen Verhandlung nachgekommen, ein Protokoll zu führen. Schließlich liege ein Verfahrensfehler darin, dass der Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung lediglich die Niederschrift der Anhörung durch die Beklagte vorlese und ihn frage, ob er es so, wie es in der Niederschrift stehe, gesagt habe. Der Richter habe selbst keine Fragen zu dem Verfolgungsschicksal gestellt. Zudem sei das rechtliche Gehör verletzt, da keine Fälle bekannt seien, in denen der Richter am Verwaltungsgericht A. positiv entscheide.

In seiner dienstlichen Äußerung vom 05.09.2018 hat der Richter am Verwaltungsgericht A. vorgetragen, das Ablehnungsgesuch sei bereits unzulässig, da es nach Stellung des Klagantrags gestellt worden sei. Darüber hinaus sei keine Besorgnis der Befangenheit zu erkennen. Üblicherweise werde über Gesuche auf Prozesskostenhilfe vor der mündlichen Verhandlung entschieden. Ein Protokoll sei geführt worden und es ergebe sich aus dem Protokoll, dass auch Fragen von Seiten des Gerichts gestellt worden seien.

Nach Erhalt der Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2018 und der dienstlichen Äußerung des Richters am Verwaltungsgericht A. hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte erneut Stellung genommen. Er trägt vor, der Richter am Verwaltungsgericht A. protokolliere nicht. Dies könne auch durch ein nachgeschobenes Protokoll nicht geheilt werden. Zudem entspreche das Protokoll nicht der Wahrheit. Der Richter habe zu Beginn der Verhandlung erklärt, dass er einige Fragen stellen werde, die er lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten habe. Es seien nur die Fragen aus der Anhörung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgelesen worden.

Zu dieser Stellungnahme hat sich der Richter am Verwaltungsgericht A. am 01.10.2018 erneut geäußert. Er trägt vor, dass er stets das Anhörungsprotokoll des BAMF vorlese und frage, ob das Vorgelesene verstanden worden sei, ob es so richtig sei oder ob es Korrekturen gäbe. Daran schließe sich die Frage nach Ergänzungen an. Die Antworten dazu würden einschließlich eventueller Nachfragen protokolliert. Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers wahrheitswidrig behaupte, das Protokoll vom 03.09.2018 entspreche nicht der Wahrheit, sei diesem Vorwurf nach Abschluss des Verfahrens strafrechtlich nachzugehen.

Der Kläger trägt weiter vor, dass das Protokoll angezweifelt werde hinsichtlich der Vermerke „v.?u.?g.“ und der Formulierung „Auf gerichtliche Nachfrage“. Es seien keine Fragen des Gerichts erfolgt. Vielmehr habe er selbst am Ende der Verhandlung „das letzte Wort“ erhalten und habe am Stück vorgetragen. Seine Antworten seien auch nicht vorgelesen und genehmigt worden.

Mit Schriftsatz vom 24.10.2018 hat der Dolmetscher des Verhandlungstermins vom 03.09.2018, Herr F., gegenüber dem Gericht erklärt, dass er sich auf Nachfrage des Richters am Verwaltungsgericht A. äußern wolle. Er erinnere sich noch sehr genau an die am 03.09.2018 verhandelten Asylverfahren. Der Richter habe, wie in jeder seiner Verhandlungen, nach Verlesung des Anhörungsprotokolls drei Fragen gestellt: „Haben Sie alles verstanden?“; „War das auch alles so richtig, wie es im Protokoll steht, oder ist etwas zu korrigieren?“; „Gibt es über das Vorgelesene hinaus etwas zu ergänzen?“. Er wisse genau, dass durch Herrn A. verschiedene Nachfragen erfolgt seien, dass der Richter nach jeder Antwort des Klägers etwas handschriftlich notiert habe, anschließend etwas vorgelesen habe und er das Vorgelesene für den Kläger zurückübersetzt habe. Herr A. habe danach den Kläger immer gefragt, ob das vom ihm – dem Richter A. – Vorgelesene so richtig sei, was der Kläger jeweils bejaht habe. Das gleiche Verfahren habe der Richter bei Nachfragen der Rechtsanwältin an den Kläger praktiziert.

Nachforschungen des Gerichts haben ergeben, dass die Erklärung des Dolmetschers vom 24.10.2018 durch den Richter am Verwaltungsgericht A. erstellt und dem Dolmetscher zur Unterschrift vorgelegt wurde.

Das Gericht hat zudem mehrere Terminsakten des Richters am Verwaltungsgericht A. aus dem Zeitraum vom 03.07.2018 bis zum 26.09.2018 eingesehen und die handschriftlichen Protokolle auf Abweichungen zu dem Protokoll dieses Verfahrens überprüft. Für das Ergebnis wird auf den Vermerk des Berichterstatters vom 05.11.2018 (Bl. 144 d.?A.) verwiesen.

Herr Richter am Verwaltungsgericht A. hat am 12.11.2018 (Bl. 159 d.?A.) eine weitere dienstliche Stellungnahme abgegeben. Er trägt darin vor, dass das Protokoll vom 03.09.2018 dem tatsächlichen Geschehen der mündlichen Verhandlung entspreche. Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers sei falsch.

Die Kammer hat am 26.11.2018 aufgrund ihres Beweisbeschlusses vom 06.11.2018 (Bl. 157 d.?A.) eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der beiden in der Verhandlung am 03.09.2018 anwesenden Zeugen I. (Praktikantin der Prozessbevollmächtigten des Klägers) und F. (Dolmetscher) durchgeführt. Für das Beweisergebnis wird auf das Protokoll der Beweisaufnahme vom 26.11.2018 verwiesen.”

Und – was wohl nicht wundert: Das VG hat das Ablehnungsgesuch als begründet angesehen:

Die Besorgnis der Befangenheit liegt hier darin begründet, dass in das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 03.09.2018 Vorgänge aufgenommen wurden, die tatsächlich nicht stattgefunden haben.

Grundsätzlich kann ein Ablehnungsgesuch nicht erfolgreich auf die Verfahrensweise oder Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden. Es ist nicht Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts, Handlungen des Gerichts in einem besonderen Instanzenzug zu überprüfen, um so die Unzufriedenheit der Parteien abzuarbeiten. Vielmehr geht es bei der Prüfung einer möglichen Befangenheit ausschließlich um eine mögliche Parteilichkeit des Richters und nicht um die inhaltliche Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist indes dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken. Dies ist anhand von objektiven Kriterien festzustellen (VGH München, Beschluss vom 04.02.2015 – 22 CS 15.33 –, juris Rn. 10; KG Berlin, Beschluss vom 08.06.2006 – 15 W 31/06 –, juris Rn. 7).

Derartig grobe Verfahrensverstöße sind im vorliegenden Fall gegeben. Eine wissentliche Protokollierung von nicht existenten Vorgängen im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfüllt strafrechtlich den Tatbestand einer Falschbeurkundung im Amt nach § 348 Strafgesetzbuch (StGB) und stellt damit eine grobe Verletzung von Richteramtspflichten dar. Dies wiederum drängt bei der dadurch betroffenen Partei den Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung auf.

Die Kammer ist nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die in der Verhandlungsniederschrift vom 03.09.2018 durch den abgelehnten Richter am Verwaltungsgericht A. protokollierten Vorgänge „auf gerichtliche Nachfrage“ und „vorgelesen und genehmigt“ tatsächlich nicht erfolgt sind. Die Aussage der Zeugin I., im Rahmen ihres einmonatigen Praktikums an der Asylverhandlung am 03.09.2018 in A-Stadt teilgenommen zu haben und sich sicher zu sein, dass Nachfragen des Gerichts nicht erfolgt seien, ist glaubhaft. Es ist für das Gericht nachvollziehbar, dass sich die Zeugin noch an den Ablauf der Verhandlung am 03.09.2018 erinnern kann. Die Zeugin hat als Studentin der Rechtswissenschaft im Allgemeinen noch keine unüberschaubare Vielzahl von Gerichtsverhandlungen miterlebt. Sie gab an, im Rahmen ihres Praktikums an vier Asylverhandlungen teilgenommen zu haben. Plausibel erscheint für das Gericht daher auch die auf gerichtliche Nachfrage mehrfach wiederholte Aussage, sie könne sich noch an den Ablauf der Verhandlung am 03.09.2018 erinnern und daran, dass nach Verlesen des Anhörungsprotokolls des BAMF keine Nachfragen von Seiten des Gerichts erfolgt seien. Sie habe das mit den anderen Verhandlungen, die sie miterlebt habe, verglichen.

Dass nach Aussage des Zeugen F. in der Verhandlung am 03.09.2018, wie in jeder Verhandlung des Richters A., nach Verlesung der Fragen aus der Anhörungsniederschrift des BAMF drei Fragen an den Kläger gestellt worden seien – ob er alles verstanden habe, ob es Korrekturen gebe, ob es Ergänzungen gebe –, steht nicht im Widerspruch zur Aussage der Zeugin I.. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge F. erklärt hat, sich nicht positiv an den Termin erinnern zu können. Der Verhandlungsstil des abgelehnten Richters sei jedoch immer gleich und es wäre ihm aufgefallen, wenn etwas anders abgelaufen wäre. Zudem hat die Kammer in die Würdigung der Aussage des Zeugen F. einfließen lassen, dass diese Aussage durch die von dem abgelehnten Richter vorformulierte Erklärung beeinflusst war und nicht den vollen Wert einer unbeeinflussten Aussage haben kann.

Die Kammer geht nicht davon aus, dass die Falschprotokollierung ohne Wissen des abgelehnten Richters erfolgt ist. Dagegen sprechen erhebliche Indizien. Zum einen erwecken die handschriftlichen Notizen des Richters zum Termin vom 03.09.2018 den Eindruck, dass das Wort „gerichtliche“ vor „Nachfrage“ nachträglich eingefügt wurde. Zum anderen entstand durch die Beeinflussung des Zeugen F. der Anschein, der Richter wolle etwas verdecken.

Darüber hinaus ist durch die von Herrn Richter am Verwaltungsgericht A. für den Zeugen F. vorformulierte Erklärung ein neuer Ablehnungsgrund geschaffen worden. Durch dieses Verhalten hat der abgelehnte Richter objektiv auf einen Zeugen eingewirkt und damit einen objektiven Grund dafür geschaffen, an seiner Unvoreingenommenheit gegenüber dem Kläger zu zweifeln. Denn das durch das Vorfertigen der Erklärung gezeigte Verhalten des abgelehnten Richters trägt erheblich manipulative Züge. Dies genügt, um das Vertrauen in die Objektivität des Richters zu erschüttern.”

Deutliche – zutreffende – Worte.

Disziplinarverfahren, oder: Aussage-gegen-Aussage und Zweifelssatz gelten

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Und die zweite “Samstags-Entscheidung” kommt auch aus dem Verwaltungsrecht. Es ist das BVerwG, Urt. v. 22.11.2018 – 2 WD 14.18, zu dem ebenfalls die Überschrift “Strafrecht meets Verwaltungsrecht” passen würde. Es geht nämlich um die Anwendung strafverfahrensrechtlicher Grundsätze im gerichtlichen Disziplinarverfahren gegen einen Angehörigen der Bundeswehr. Gegen den war durch das Truppendienstgerichts wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 24 Monaten verhängt. Vorgeworfen worden ist ihm die Verwendung eines Dienst-Pkw zu privaten Zwecken. Der Soldat soll seine ehemalige Freundin R. mehrfach mit einem Dienst-Pkw abgeholt oder weggebracht haben. Das Truppendienstgericht hat die Verurteilung u.a. auf die Aussagen der Zeugin R. gestützt und die bestreitenden Einlassungen des Soldaten als widerlegt angesehen.

Der Soldat hat Berufung eingelegt. Er erstrebt vornehmlich einen Freispruch. Die Berufungsbegründung tritt der Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils in allen Anschuldigungspunkten detailliert entgegen und erläutert, warum aus Sicht der Verteidigung die Belastungszeugin R. unglaubwürdig und keiner der Vorwürfe nachgewiesen sei. Keine der Einwände des Truppendienstgerichts gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Soldaten sei stichhaltig und entspreche dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Vielmehr seien die Erwägungen der Vorinstanz weitgehend spekulativ, realitätsfern und fern dem tatsächlichen Gehalt der Aussagen der angehörten Zeugen. Die Einlassungen des Soldaten seien in allen Verfahrensstadien konsequent geblieben, auch durch die Hauptverhandlung nicht widerlegt und würden durch die Angaben der Zeugen J., St. und Je. gestützt. Zudem lägen schwere Verfahrensfehler vor.

Das BVerwG hat frei gesprochen. In der Begründung des Freispruchs macht es (interessante) Ausführungen zur Anwendung des Zweifelssatzes und zur Aussage-gegen-Aussage-Konstellation:

“1. Nach § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dabei kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die persönliche Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Zwar ist zur Überführung des angeschuldigten Soldaten keine “mathematische” Gewissheit erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und erschöpfend sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. März 2016 – 2 WD 8.15 – juris Rn. 19 f. m.w.N. und vom 3. Mai 2016 – 2 WD 15.15 – juris Rn. 16 ff.).

Dies gilt namentlich dann, wenn eine Ahndung auf der Grundlage der Aussage eines einzigen Zeugen erfolgen soll. Zwar ist das Tatgericht nicht grundsätzlich schon dann aufgrund des Zweifelssatzes an einer Verurteilung gehindert, wenn “Aussage gegen Aussage” steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Hier ist eine lückenlose Ermittlung und anschließende Gesamtwürdigung der Indizien sowie aller anderen Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, von besonderer Bedeutung. Das gilt insbesondere dann, wenn der einzige Belastungszeuge in der Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich – wie vorliegend – sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das Gericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, die es ermöglichen, der Zeugenaussage dennoch zu glauben. Gelingt dies dem Gericht nicht, ist der Soldat nach dem Rechtsgrundsatz “in dubio pro reo” freizustellen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98 – juris Rn. 15; OVG Koblenz, Urteil vom 7. März 2017 – 3 A 10699/16NVwZ-RR 2017, 974 Rn. 33 ff.).

2. Hiernach verbleiben nicht nur theoretische Zweifel daran, dass der Soldat die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen hat, sodass er in Ermangelung weiterer Aufklärungsmöglichkeiten nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 2 WD 36.09 – Buchholz 450.2 § 106 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 14). Am Wahrheitsgehalt der Aussage der einzigen Belastungszeugin bestehen gravierende Zweifel, die auch nicht durch für die Richtigkeit der Aussage sprechende Umstände ausgeräumt werden konnten. Im Einzelnen:……”


Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Gericht erklärt sich für unzuständig – zweimal die Verfahrensgebühr?

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Am vergangenen Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Gericht erklärt sich für unzuständig – zweimal die Verfahrensgebühr?.

Mein Antwort an den Kollegen auf die Frage lautete:

“Hallo, Sie haben m.E. an der falschen Stelle gesucht. Das ist kein Problem, das mit der Nr. 4106 VV RVG zusammenhängt, sondern ein allgemeines Problem unter dem Stichwort: Angelegenheiten. Sie hatte daher in Teil A schauen sollen. Und dort wären Sie m.E. bei den Rn 115 ff. fündig geworden. Es handelt sich nur um eine Angelegenheit, also nur einmal die Verfahrensgebühr. Den Mehraufwand durch die Rücknahme usw. müssen Sie über § 14 Abs. 1 RVG geltend machen, wenn Sie Wahlanwalt sind/waren.

Kostenfestsetzungsantrag muss m.E. in Berlin gestellt werden. In Potsdam ist ja nichts mehr anhängig.”

Nein, ich weise nicht schon wieder auf den RVG-Kommentar hin 🙂 🙂 🙂 .

Einziehung II: Das Verbot der Schlechterstellung gilt, oder: Vorlage

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Die zweite Entscheidung kommt vom 5. Strafsenat des BGH. Ergangen ist der BGH, Beschl. v. 10.01.2019 – 5 StR 387/18 – auf eine Vorlage des OLG Hamburg. Das hatte dem BGH folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

„Schließt das Verbot der Verschlechterung (§ 331 Abs. 1 StPO) die erstmalige Anordnung einer Einziehung von Taterträgen oder des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017) durch das Berufungsgericht auf die allein vom Angeklagten geführte Berufung auch dann aus, wenn eine selbständige Anordnung gemäß § 76a StGB möglich ist?“

Ergangen ist der Vorlagebeschluss in einem Verfahren wegen Betruges. Das AG Hamburg hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen, davon in einem Fall versucht, zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den amtsgerichtlichen Urteilsfeststellungen zur hier betroffenen vollendeten Betrugstat hatte der Angeklagte am 17.05.2017 über eine Online-Verkaufsplattform einen Mercedes Benz zum Kauf angeboten. Er war dabei weder willens noch in der Lage, das Auto zu übergeben. Der durch ihn getäuschte Käufer entrichtete am 23.05.2017 den Kaufpreis von 30.000 €. Eine Lieferung des Kraftfahrzeugs erfolgte entsprechend dem Tatplan des Angeklagten nicht.

Maßnahmen der Vermögensabschöpfung gemäß §§ 73 ff. StGB hat das AG Hamburg weder angeordnet noch in den Urteilsgründen erörtert. Im Bewährungsbeschluss hat es dem Angeklagten auferlegt, den verursachten Schaden von 30.000 € im Rahmen seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten nach besten Kräften wiedergutzumachen, mindestens aber in monatlichen Raten von 50 €. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt und diese wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. In der Berufungshauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft erstmals beantragt, die Einziehung des Werts des aus der Tat erlangten Geldbetrages von 30.000 € anzuordnen. Mit Urteil vom 11.12.2017 hat das LG Hamburg die Berufung des Angeklagten verworfen. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Einziehung des Wertersatzes nach § 73c StGB hat es wegen des Verschlechterungsverbots (§ 331 Abs. 1 StPO) als rechtlich unzulässig angesehen. Gegen das Urteil des LG Hamburg hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Mit der Sachrüge greift sie allein die unterbliebene Wertersatzeinziehung an. Der Generalstaatsanwalt in Hamburg ist der Revision beigetreten.

Das OLG Hamburg möchte das Urteil des LG Hamburg aufheben, soweit von der Wertersatzeinziehung abgesehen worden ist. Es sieht sich daran aber durch einen Beschluss des OLG Zweibrücken vom 06.11.2017 (1 OLG 2 Ss 65/17) gehindert. Darin hat das genannte Oberlandesgericht den Standpunkt eingenommen, dass das Verbot der Schlechterstellung gemäß § 331 Abs. 1 StPO bei alleiniger Berufung des Angeklagten der erstmaligen Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB entgegenstehe.

Der BGH sieht es anders und beantwortet die vom OLG Hamburg gestellte Frage wie folgt:

Das Verbot der Verschlechterung (§ 331 Abs. 1, § 358 Abs. 2 Satz 1, § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO) schließt die erstmalige Anordnung der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) auf lediglich vom Angeklagten, von seinem gesetzlichen Vertreter oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel oder Wiederaufnahmeanträge auch dann aus, wenn eine selbständige Einziehung nach § 76a StGB möglich wäre.”

Die Entscheidung ist für die Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen.

Happy Birthday ZAP-Verlag, oder: 30 Jahre sind eine lange Zeit

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Heute vor dem normalen Tagesprogramm dann wieder ein Sonderpost. Nein, nicht nicht schon wieder Urlaub, sondern man/ich muss/will gratulieren.

Der ZAP-Verlag wird nämlich in diesem Jahr 30 Jahre alt. Und das wird heute in Bonn gefeiert mit einem recht netten (Tages)Programm. Wir starten im Universitäts-Club und kommen über das “Haus der Geschichte” – wie passend – zum Rheinhotel Dreesen, auch ein geschichtsträchtiger Ort. Das passt ganz gut zu dem Weg, den der Verlag in den letzten 30 Jahren zurückgelegt hat – von der Kindheit in Herne über Recklinghausen – Münster – Köln nach Bonn. Also Wanderjahre 🙂 .

Zu 30 Jahren “Verlagsgeschichte” darf man dann doch gratulieren. Und das tue ich gerne, denn 28 von den 30 Jahren bin ich mitgegangen. Seit 1991 bin ich nämlich auch schon dabei.

Und – wer weiß es nicht? Wir waren gemeinsam recht produktiv. Ich habe einfach mal ein Bild gemacht von dem, was wir in den Jahren unserer Zusammenarbeit in den Jahren so auf die Beine gestellt haben. Wer genau hinschaut, kann die dünne 1. Auflage des Handbuchs Hauptverhandlung aus dem Jahr 1995 erkennen. Wenn man die 9. Auflage daneben sieht, kann man die Entwicklung erkennen. Und ja: Es gab die Handbücher auch mal auf CD 🙂 . Und die Kinder = Junglektoren, die damals in den Kinderjahren des Verlages das Laufen als Lektor gelernt haben, sind heute auch schon alt, aber immer noch/wieder beim Verlag.

Oben links ist im Regal ja noch ein wenig Platz. Ich hoffe, der liebe Gott – oder sonst wer – gibt dem ZAP-Verlag und mir noch so viel Zeit, dass wir die Lücke noch gemeinsam füllen können.





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